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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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lange dauert der antarktische Sommer – 3000 Kilometer. Die Strecke, über die Sir Ernest Shackleton 1914 seine Antarktis-Durchquerung geplant hatte (gescheitert, weil sein Schiff »Endurance« bei der Anreise zwischen Eisschollen zerdrückt worden war), ist also theoretisch in gut drei Monaten zu bewältigen.
    Nachdem mir Adventure Network logistische Unterstützung zugesagt hat (Anreise, Fliegen von zwei Depots), lege ich die Eckpunkte meiner Strategie fest: zwei bis drei Mann, 100 Kilo schwere Schlitten, Marsch ohne Hunde oder Zugmaschinen vom Ronne-Schelfeis über den Südpol nach McMurdo.
    Ich vernachlässige das Bergsteigen. Es entsteht ein für die Antarktis-Durchquerung starkes Momentum. »Vinciturus vincero«, das als Motto in meiner Burg steht (Umgangslatein, 1548), lege ich neu aus: »Wer sich selbst zum Sieg bestimmt, wird siegen.« Eine schöpferische Ungeduld entsteht.
    Man kann am eigenen Erfolg ersticken, an der Einsamkeit, an nicht erwiderter Liebe, vielleicht sogar an Idealen. Aber niemals am Enthusiasmus, wenn er in die Waagschale der Tat geworfen wird. Ich muss nur das scheinbar Nicht-Mögliche wagen, um Kräfte zu mobilisieren, von denen ich nichts ahne. Ich muss Partner finden und viel Geld auftreiben. Allein die Kosten für die Flüge werden auf 400000 Dollar veranschlagt.
    Weil den Bergsteigern das Eiswandern fremd ist, suche ich nach willens- und überzeugungsstarken Persönlichkeiten aus anderen Bereichen des Abenteuers. Der norddeutsche Seemann Arved Fuchs, Navigator mit Arktis-Erfahrung, kann sich nach anfänglicher Skepsis mit meinem Plan identifizieren. Die Frage: Wie führen wir uns selbst? stellt sich nicht, nachdem wir uns entschieden haben, nur zu zweit und als gleichwertige Partner zu starten.
    Vor dem Aufbruch im Oktober 1989 wissen wir beide, dass wir etwa 30 Kilometer pro Tag laufen müssen, dass wir spätestens am 15. Februar 1990 in McMurdo sein müssen, dass die längste zurückzulegende Etappe ohne Zwischendepots (Südpol–McMurdo) 1500 Kilometer lang und schwierig sein wird (Berge, Gletscher mit Spalten).
    Nach einem verspäteten Start (Anreiseschwierigkeiten) und verlegtem Startpunkt (nicht Eis-, sondern Kontinentrand am Weddellmeer) bringen wir es in den ersten Wochen auf keine 20 Kilometer Tagesleistung. Wegen Schlechtwetter, Sturm, White-out«, stumpfen Schnees, Sastrugis (Eisrippen) ist das Schlittenziehen anstrengender als vorhergesehen. Dazu plagen Arved Blasen auf der Fußsohle und Konditionsmängel. Wir können uns nur Tag für Tag auf einen Kompromiss in der Taktik einigen. Statt wie notwendig 8 bis 10 Stunden täglich zu laufen, will Arved, um sich zu schonen, dass wir nur 4 Stunden unterwegs sind. Bei Rückenwind, so hofft er, sollen wir mit unseren Segeln 50 bis 100 Kilometer am Tag zurücklegen und aufholen können.
    Da der Segelwind ausbleibt, einigen wir uns nach einerWoche auf 6 Laufstunden täglich. Arved klagt wegen Überanstrengung. Ich fühle mich nicht ausgelastet. Trotzdem kein Streit deswegen.
    Nach drei Wochen weiß ich, dass wir bei der gegebenen Geschwindigkeit die Antarktis-Durchquerung nicht schaffen werden. Arved resigniert. Er gibt sich mit dem Erreichen des Südpols zufrieden. (»Für die Leute zählt nur der Pol.«) Für mich jedoch zählt die Durchquerung.
    Ich muss also Arved stillschweigend dazu bringen, das Gleiche zu denken. Er darf dabei die Selbstachtung nicht verlieren und muss an Kondition gewinnen. Letzteres gelingt mir nicht. Ihn zu trainieren, indem ich zuerst Minuten, später Viertelstunden lang mehr laufe als vereinbart, bringt nur ein oder zwei zusätzliche Kilometer pro Tag und Misstrauen. Mein Vorschlag, die Schlitten so umzupacken, dass wir bei unterschiedlichem Schlittengewicht auf die gleiche Geschwindigkeit kommen, löst zuerst Skepsis aus. Ich vermittle den Sinn meiner Taktik, indem ich das Positive für Arved betone: »So werden wir schneller und können noch vor Neujahr den Südpol erreichen.« Ich weiß: Würden wir erst 1990 ankommen, müssten wir aufgeben. »Dies würde für dich bedeuten, dass du dann als erster Mensch Nord- und Südpol innerhalb eines einzigen Jahres zu Fuß erreicht hast.« Ein Rekord!
    Erst dieses Sich-hervortun-Können – von Arved anfangs als Messner’sche Rekordsucht belächelt – beflügelt ihn. Dieser Rekord steht nur ihm offen, mir

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