Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
nicht. Nachdem Arved im Frühjahr 1989 im Rahmen einer internationalen Expedition unter Leitung von Robert Swan den Nordpol erreicht hat, will er jetzt rechtzeitig am Südpol sein. Mehr nicht.
Da ich trotz des schwereren Schlittens so schnell gehe wie vorher und als Vorausmann das Tempo mache, schaffen wir in den 7 Stunden, die Arved zuvor für meine 6 Stunden gebraucht hat, bis zu 28 Kilometer pro Tag. Dabei läuft er jetzt noch weiter hinterher. Aber er tut es freiwillig. Meine Manipulation: Tag für Tag fördere ich sein Stolz-sein-Können â stolz auf den zweiten Pol, der innerhalb eines Jahres winkt, stolz auf die Ausdauer, nach mehr als 50 Tagen Nordpol-Schinderei die Strapaze in der Antarktis durchzustehen. Dieser Stolz wirkt Wunder.
Die Tricks, die ich anwende, um Arved zu motivieren, gelten meinem Ziel: der Gesamt-durchquerung. Ich weiÃ, es kommt auf jeden von uns gleichermaÃen an. Keiner darf zurückbleiben. Einer allein kommt nicht weit.
Am Silvestertag erreichen wir den Südpol. Gerade noch rechtzeitig, um weitermachen zu können. Mit einer Flasche Rotwein arrangiere ich ein kleines Fest für Arved und seinen Rekord: die zwei Pole innerhalb eines Jahres.
Die Hoffnung, vom Südpol zum Rossmeer bei Rückenwind Segel einsetzen zu können, beflügelt Arved weiterzumachen. Auch ich bin jetzt zuversichtlich. Aber unsere Hoffnungen werden enttäuscht. Bedingt durch die schwereren Schlitten, den stumpfen Schnee und die gröÃeren Schwierigkeiten (Spalten, Eisbrüche) sinkt unser Tempo wieder unter einen Durchschnitt von 20 Kilometern pro Tag. Wegen des nahenden Winters und des Auslaufens der »Barken« (das Schiff für unsere Heimreise) in Baja Terra Nova (italienische Forschungsstation nördlich von McMurdo) am 15. Februar sind wir in einer hoffnungslosen Situation.
Arved plädiert dafür, die Schlitten leichter zu machen und die Ãberquerung in Gateway (zwischen Kontinent und Ross-Schelfeis) abzubrechen. Ich weigere mich, jetzt schon aufzugeben. Auch weise ich auf die Kosten und Schwierigkeiten hin, die beim Versuch entstehen würden, uns in Gateway ausfliegen zu lassen. Ich hoffe auf ein Wunder und treibe meinen Partner immerzu an.
Als nochmals günstiger Wind aufkommt, machen wir Boden gut, kommen aber nicht so weit wie notwendig. Auch weil Arveds Ausdauer nicht ausreicht, zu segeln, bis der Wind aufhört. Ich bin verzweifelt. Die Wut aber, die manchmal in mir hochkocht, wenn Arved kilometerweit zurückbleibt, behalte ich für mich oder brülle sie in die weiÃe, kalte Eiswelt hinaus, wenn er so weit zurück ist, dass er mich nicht hören kann. Umgekehrt hat Arved auch mich mit seinen Wutausbrüchen verschont. Ihm gegenüber kann ich (fast) immer ruhig, zuversichtlich sein. So bleibt er meinen subtilen Manipulationen gegenüber empfänglich. Kalt bleibt nur der Schnee.
In der Antarktis funktioniert eine Taktik wie im Himalaja (wer nicht mitkommt, bleibt im Basislager zurück) nicht. Wir müssen ohne Streit auskommen, Kompromisse schlieÃen, zusammen weiter. Ende Januar, bei Gateway, plädiert Arved nochmals dafür, die Expedition abzubrechen. Ich greife zu meinem letzten Trumpf: Er soll das Zelt bekommen, das Argos-Gerät (ein satellitengestütztes Ortungsgerät, das unsere Position nach auÃen meldet) und warten, bis er geholt wird. »Ich bezahle deinen Flug, aber ich gehe nach McMurdo!« Ich weiÃ: Diese meine Aussage führt entweder zum Ende der Expedition, oder sie zwingt ihn, das Letzte an Selbstmotivation aus sich herauszuholen. Ich habe Glück und gewinne. Arved will weitergehen.
Trotz Neuschnee, White-out und Hunger (wir haben vorsorglich die Nahrungsmittel rationiert) laufen wir bis an die Grenze der Belastbarkeit. Häufig mehr als 30 Kilometer pro Tag, die ich Arved nicht nur zumute, sondern auch zutraue. Er zeigt jetzt Leistungswillen und Leidensfähigkeit. In dieser Phase erkläre ich ihm immer wieder, was es bedeuten würde â auch finanziell â, zu spät zu kommen. Obwohl ich die Expedition alleine finanziert habe, helfen diese Informationen, die Motivation meines Partners zu steigern. Auch stelle ich in Aussicht, dass einer der Sponsoren die Flüge für unsere beiden Lebensgefährtinnen nach Neuseeland übernehmen könnte, wenn wir rechtzeitig dort ankämen. (Ich habe sie später aus eigener Tasche bezahlt.) Das Wichtigste aber bleibt mein
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