Berger, Fabian
an den Tag, wie er sie selbst in dem Alter noch nicht aufzuweisen hatte. Ruhig und gewissenhaft waren die beiden seit Stunden damit beschäftigt, den Toten zu obduzieren. Der Gestank der zersetzenden Leiche hatte schon längst jeden Winkel des Raumes eingenommen. Die hellgrünen Fliesen reflektierten das Licht der Neonröhren und leuchteten den silbernen Seziertisch von allen Seiten aus. Tornsen stand vornübergebeugt am Kopfende und verrichtete mit routinierter Gelassenheit seine Arbeit. Die Bauchlage des Leichnams ermöglichte ihm, die Eintrittswunde des Genickschusses genau in Augenschein zu nehmen. Doch zuvor nahm er sich den allgemeinen Zustand des Körpers vor. Er flüsterte die gewonnenen Erkenntnisse in ein Diktiergerät:
»Die sichtbaren Körperteile zeigen bereits fortschreitende Verwesung, die Oberhaut ist mazeriert, im Ganzen überall Anzeichen progressiver Leichenzersetzung. Bisher sind keinerlei Abwehrverletzungen festzustellen.« Er drückte auf Pause und wandte sich nun dem Einschussloch zu. Mit erhöhter Aufmerksamkeit betrachtete er die Ausmaße der Wunde. Seine Gedanken bündelnd, betätigte er abermals das Diktiergerät.
»Im Nacken, am unteren Schädelrand, ist die Einschussstelle eines Faustwaffengeschosses mit einem Durchmesser von etwa 8-10 mm erkennbar. Eine genauere Bestimmung folgt.« Er wusch sich den Schweiß von der Stirn. Die Hitze war unerträglich. Sein Kittel hatte bereits durchnässte Stellen, die sich von seinen Achseln aus nach unten hin ausbreiteten.
»Die Sonde weist eine Tiefe des Schusskanals von ungefähr zwei Zentimetern auf. Vielleicht auch drei. Kein Ausschuss. Blutaustritt aus beiden Ohren. Der Einschuss im Genick liegt genau in der Mitte, bis auf wenige Millimeter Abweichung.« Tornsen schabte mit einem Skalpell am Rand der Wunde.
»In der Umgebung des kreisrunden Hautdefektes des Einschusses ist eine dunklere, von eingesprengten Pulverpartikelchen herrührende Verfärbung der Haut festzustellen. Es ist anzunehmen, dass die Faustfeuerwaffe aus nächster Nähe abgefeuert worden ist. Der Größe des Durchmessers der Öffnung nach zu urteilen handelte es sich um eine Pistole vom Kaliber«, Tornsen maß die Wunde ab, »9 mm.«
Plötzlich bewegte sich der Brustkorb des Toten und die darin eingeschlossene Atemluft wich hauchend aus dessen Mund. Sein Assistent wich erschrocken zurück.
»Was ist denn jetzt los, Lück?«, wunderte sich Tornsen. »Ich wusste nicht, dass Sie sich vor Leichen fürchten. Das wäre in Ihrem Beruf aber nicht gerade von Vorteil.«
Der Kollege wirkte von seiner eigenen Reaktion überrascht, entschloss sich jedoch dazu, auf die Stichelei nicht weiter einzugehen.
Grinsend beugte sich Tornsen wieder über den leblosen Körper und sprach weiter in sein Aufnahmegerät. »Der Tod ist durch Zertrümmerung des verlängerten Marks, aufgrund der Auswirkung der Geschosskraft, eingetreten.« Zufrieden mit seinen bisherigen Erkenntnissen stoppte er die Aufzeichnung. »Packen Sie mal mit an. Wir drehen ihn zur Seite und schauen uns mal die Wunde im Bereich der Schläfe an.«
Lück folgte der Anweisung. Mit routinierten Handgriffen brachten sie den Körper in eine stabile Lage.
Tornsen sprach mit monotoner Stimme seine ersten Eindrücke auf Band. »Öffnung der Schädelhöhle erfolgte durch Freilegung des Schädelknochens. Dazu wurde ein halbkreisförmiger Schnitt im Bereich der Schläfe durch die Kopfschwarte geführt, die dann vom Schädelknochen gelöst wurde. Das Schädeldach wurde mit einer Säge geöffnet.«
Er stockte in seiner Beschreibung. Interessiert begutachtete er den Bereich um die Wunde. Ein winziges Detail erregte seine Aufmerksamkeit. »Am äußeren Rand ist ein kurzer Ansatz vernarbten Gewebes zu erkennen, das auf eine frühere Verletzung oder einen Eingriff zurückzuführen ist.« Ratlos blickte er zu seinem Kollegen. »Das ist äußerst merkwürdig. Die komplette Narbe befand sich genau an derselben Stelle, wo jetzt dieses Loch klafft und war vermutlich kaum älter als ein paar Wochen oder Monate.« Er führte seinen Blick zurück auf das schwarzrote Loch und spähte hinein. »Moment mal, was ist das denn?«
Lück beugte sich zu ihm hin. »Was meinen Sie?«
»Na, hier!« Tornsen deutete in die Wunde. »Sehen Sie das nicht?«
»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte der Assistent, der große Mühe hatte, überhaupt etwas zu erkennen.
»Geben Sie mir mal die Säge! Es wird Zeit, dass wir uns das Innere des Schädels mal genauer
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