Berger, Fabian
kurzen Augenblicks hatte sie alles zerstört, was ihr von Erik geblieben war. Eine Trauer überkam sie, die beinahe körperlich schmerzte. Wie betäubt sackte sie zu Boden und blieb reglos liegen. Sie wollte nie wieder aufstehen. Nie wieder.
-12-
L orenz ging sämtliche Unterlagen durch, die er systematisch auf seinem Schreibtisch ausgebreitet hatte, und suchte nach möglichen Hinweisen. Als sein Telefon klingelte, nahm er den Anruf entgegen.
»Tornsen hier!« Der Rechtsmediziner kam gleich zur Sache. »Die Obduktion ist fast abgeschlossen. Bis auf wenige Standardprozeduren und dem ganzen Schnickschnack, wenn du weißt, was ich meine.«
»Dann lass mal hören«, forderte Lorenz ihn auf.
»Also, die Schussverletzung im Genick wurde von einer Faustfeuerwaffe Kaliber 9 mm verursacht, die aus unmittelbarer Nähe ausgelöst wurde. Das belegen eindeutig die Schmauchspuren im Bereich der Wunde.«
Lorenz griff zu einem Blatt Papier und machte sich ein paar Notizen. »Kaliber 9 mm, Schmauchspuren, verstehe.«
Tornsen fuhr fort. »Und jetzt hör mir genau zu. Das Opfer ist zwar an der Schussverletzung gestorben, die Schädeldecke wurde aber bereits vor dem Eintritt des Todes geöffnet. Hast du verstanden?« Er lauschte in die Stille. »Lorenz ...? Bist du noch dran?«
»Du willst damit sagen, dass der Täter den Schädel des Mannes bei lebendigem Leib geöffnet hat?« Seine Stimme erhöhte sich unnatürlich zum Ende des Satzes.
»Ganz genau«, erwiderte Tornsen. »Du wirst jetzt mit Sicherheit wissen wollen, wie ich darauf gekommen bin und warum das Opfer keine Abwehrspuren aufweist.«
Lorenz wartete geduldig.
»Der Grund ist relativ simpel. Am Hals der Leiche befindet sich ein winziger Einstich. Die toxikologische Untersuchung hat ergeben, dass dem Opfer vor seinem Tod Suxamethonium in Verbindung mit dem Schmerzmittel Lidocain injiziert wurde.«
»Suxa...was?«
»Suxamethonium. Ein Muskelrelaxan. Eine Substanz, die häufig in der klinischen Anästhesie Verwendung findet und die eine temporäre Lähmung der Muskeln hervorruft, damit sich der Patient während eines Eingriffs nicht bewegen kann«, erklärte Tornsen.
»Also eine richtige Operation ...«, murmelte Lorenz vor sich hin.
»Wie bitte?«
»Ach nichts, danke, dass du dich so schnell gemeldet hast.« Lorenz war schon im Begriff aufzulegen, da er keine weiteren Erkenntnisse mehr von dem Rechtsmediziner erwartete.
»Halt, warte! Da ist noch etwas anderes«, fügte Tornsen hinzu. »Als ich mir die Wunde an der Schläfe genauer angesehen habe, ist mir etwas Merkwürdiges aufgefallen. Um sicherzugehen, habe ich die Schädeldecke geöffnet und ...«
»Komm bitte zum Punkt«, unterbrach Lorenz ihn. »Ich habe eben gefrühstückt. Da ist mein Magen empfindlich.«
Tornsen bemühte sich, seine Ausführungen auf das Wesentliche zu reduzieren. »Jedenfalls kam dabei heraus, dass genau an dieser Stelle ein Teil des Gehirns fehlt.«
»Soll das etwa heißen, dass der Täter den Schädel geöffnet hat, um seinem noch lebenden Opfer ein Stück Gehirn zu entnehmen?«
»Genau das wollte ich damit sagen. Präzise ausgedrückt handelt es sich dabei um den frontopolaren Kortex. Man kann davon ausgehen, dass der Täter sich bestens mit dem Aufbau des Gehirns auskannte und genau wusste, was er da herausschneidet. Ich würde dir empfehlen einen Experten zurate zu ziehen. Am besten einen Neurologen. Ach, und noch etwas. Auch wenn es vielleicht nicht von Bedeutung ist. An der gleichen Stelle, also dort, wo jetzt das Loch ist, muss vorher schon mal etwas passiert sein.«
»Was meinst du?« In Lorenz’ Kopf kreisten die Gedanken um die neu gewonnenen Erkenntnisse.
»Ich habe im Bereich um die Wunde herum Reste vernarbten Gewebes entdeckt, eine Narbe, die mit Sicherheit genau an der Stelle gewesen sein muss. Von einer alten Verletzung oder einer Operation. Keine Ahnung. Ich wollte nur, dass du’s weißt.«
»Gut, vielen Dank. Sehr gute Arbeit, Tornsen. Wirklich.«
»Keine Ursache. Ich werde dir den Bericht der Obduktion so schnell wie möglich zukommen lassen.«
»Eine Sache noch, Tornsen. Du kennst doch bestimmt ...«
Plötzlich klopfte es an der Tür, und ein Kollege trat ins Büro.
»Gute Neuigkeiten. Wir haben die Eltern des Opfers ausfindig machen können.« Er überreichte dem Hauptkommissar einen Zettel mit der Adresse und war schon wieder im Begriff zu gehen.
»Hat sich schon jemand auf den Weg gemacht?«, wollte Lorenz von ihm wissen.
»Ich wollte es gerade
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