Berger, Fabian
ihrem Schreibtisch vorbei und steuerte auf die Tür seines Büros zu. »Nicht jetzt!«, rief er ihr im Gehen zu. »Ich möchte während der nächsten halben Stunde nicht gestört werden!«
»Aber, Herr Professor ...?« Etwas verstört ließ sie ihren kleinen Protest verlauten, bevor sie sich stoisch wieder ihrer Arbeit widmete.
Braun verriegelte die Tür und setzte sich an den PC. Zahlreiche Systemordner lagen unsortiert auf dem Desktop und betonten das nicht vorhandene Archivierungstalent seines Besitzers. Dennoch fand er sich umgehend zurecht. Zielsicher öffnete er den Ordner und überflog die Liste der Dateien. In nur wenigen Sekunden würde er erfahren, ob seine Sorge berechtigt war oder ob ihm seine Augen einen makaberen Streich gespielt hatten. Endlich hatte er die Datei gefunden. Mit einem Doppelklick erschien ein horizontaler Balken am unteren Bildschirmrand, der stetig anwuchs. Ungeduldig rutschte er auf dem Stuhl hin und her. »Komm schon!«, zischte er den Computer an. Schließlich begann sich ein Dokument auf dem Monitor aufzubauen. Er trommelte mit den Fingern auf der milchigen Glasplatte seines Schreibtischs. Auf mehrere Textzeilen folgte der Ansatz eines Haarschopfs, dann ein Augenpaar. Braun hielt seinen Blick starr auf den Monitor gerichtet. Erst als das komplette Gesicht des Mannes erschienen war, hatte er absolute Klarheit. Sein Magen zog sich mit Schmerzen zusammen. Ungläubig starrte er auf das Foto.
Ruckartig öffnete sich die Tür. Braun fuhr erschrocken zusammen. Doktor Ruth Heller stand vor ihm und erschrak ebenfalls. Offenbar hatte sie nicht erwartet, den Professor in seinem Büro anzutreffen. Sie blieb mitten im Raum stehen.
»Professor Braun. Ich wusste ja nicht, dass Sie schon wieder zurück sind.«
Brauns Angst hatte sich längst in unbändige Wut verwandelt. »Ich sagte doch, dass ich unter keinen Umständen gestört werden will, verdammt noch mal!«, brüllte er in Richtung Vorzimmer.
Sofort erschien seine Sekretärin im Türrahmen. »Entschuldigen Sie! Aber sie ließ sich nicht aufhalten.«
Doktor Heller bemühte sich, ihr Hereinplatzen zu rechtfertigen. Doch ihr Gesichtsausdruck verriet eher Verachtung als Schuldbewusstsein. »Ich wollte Ihnen nur die aktuellen Testergebnisse auf den Schreibtisch legen.« Sie hielt einen Papierstapel in der Hand und legte ihn auf den Beistelltisch neben seinem Schreibtisch. Dann verließ sie das Büro.
Braun atmete tief durch und rieb sich nachdenklich das Kinn. Er konnte nicht riskieren, dass die Unterlagen in die falschen Hände gerieten und Erkenntnisse offenlegten, die das Projekt in Gefahr bringen würden. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich vollkommen hilflos. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe und suchte verzweifelt nach einer Lösung. Schließlich traf er eine Entscheidung. Er schloss das Dokument, fuhr mit dem Cursor darauf und betätigte die rechte Maustaste. Er zögerte kurz, dann löschte er die Datei.
Sofort fiel eine schwere Last von ihm ab. Er fühlte sich beinahe berauscht und bedauerte seinen vorausgegangenen Wutausbruch. Er würde sich bei Doktor Heller und Sandra entschuldigen müssen. Doch vorher gab es noch ein paar Dinge zu erledigen. Seine Karriere und die Zukunft des gesamten Instituts hingen davon ab.
Er fuhr den Rechner herunter. Niemand außer ihm sollte Zugriff auf die Dateien erlangen. Nicht einmal seine engsten Mitarbeiter, zu denen auch Ruth Heller gehörte. Ab jetzt durfte er nichts mehr dem Zufall überlassen. Der Bildschirm färbte sich tiefschwarz, bevor der Computer endlich verstummte. Braun erhob sich von seinem Stuhl und verließ das Büro.
-22-
D ie lange Wartezeit hatte Hannah müde werden lassen, und sie war für einen Augenblick eingeschlafen. Ein schwaches Stimmengewirr weckte sie schließlich, und kurz darauf betrat ihr Vater das Büro.
»Hannah. Was machst du denn hier?« Ein freudiges Lächeln zog über sein Gesicht.
Sie rieb sich mit den Handballen die Augen. Gähnend begrüßte sie ihren Vater und streckte die Arme, bis die Gelenke knackten. »Da bin ich wohl kurz eingenickt.«
»Seit wann bist du denn schon hier?« Seine Frage klang mehr wie eine Entschuldigung für seine Abwesenheit.
»Keine Ahnung.« Sie schaute auf ihre Armbanduhr und blinzelte. »Halb eins?« Noch einmal vergewisserte sie sich mit einem Blick auf das Ziffernblatt. »Dann habe ich ja ganze zweieinhalb Stunden geschlafen!«, stieß sie ungläubig aus und erhob sich mit steifen Gliedern von ihrem Platz.
Weitere Kostenlose Bücher