Berger, Fabian
Gedächtnisses und emotionalen Bewertungen kombiniert und auf dieser Basis Handlungen auslöst. Er reguliert emotionale Prozesse und kontrolliert als oberste Instanz eine der Situation angemessene Handlung.« Er sah in Lorenz’ ratloses Gesicht. »Im frontopolaren Kortex werden Entscheidungen vorbereitet und sodann zur Ausführung einer Tätigkeit und deren Zeitpunkt in andere Hirnbereiche weitergeleitet. Das bedeutet, dass dort Entscheidungen schon zu einem gewissen Grad unbewusst angebahnt, aber noch nicht endgültig gefällt werden.«
Lorenz musste nachhaken. »Sie meinen, dass nicht wir unsere Entscheidungen treffen, sondern unser Unterbewusstsein?«
Der Professor widersprach vehement. Er hatte diese Frage heute nicht zum ersten Mal gestellt bekommen. Es erstaunte ihn jedoch, diese aus dem Mund eines Kommissars zu hören. »Nein, Herr Lorenz. Ich habe gesagt, dass Entscheidungen im frontopolaren Kortex zwar unbewusst vorbereitet werden, jedoch nicht, dass sie dort auch endgültig getroffen werden.«
»Verstehe.« Lorenz’ Überlegungen nahmen langsam Formen an. »Welche Auswirkungen hätte die Entfernung dieses Teils des Gehirns bei einer lebenden Person?«
Braun wirkte bestürzt. »Wollen Sie etwa damit sagen, dass das Opfer während des Eingriffs noch am Leben war?«
»Betäubt, um genau zu sein. Aber dennoch bei vollem Bewusstsein.«
Tornsen nickte bestätigend.
Alle Farbe war aus dem Gesicht des Professors gewichen. »Mein Gott! Wer um alles in der Welt tut so etwas?« Bestürzt hielt er sich die Hand vor den Mund.
»Genau das wollen wir herausfinden. Mit Ihrer Hilfe, wenn Sie erlauben.« Lorenz wartete, bis Braun sich einigermaßen gefangen hatte.
»Präfrontale Verletzungen können zum Zerfall des Kurzzeitgedächtnisses, der Langzeitplanung, zu Perseveration und Inflexibilität im Verhalten und zu Persönlichkeitsveränderungen führen. Aber welche Auswirkungen eine fast vollständige Entnahme des frontopolaren Kortex mit sich führt, kann ich Ihnen nicht mit Gewissheit beantworten. Es ist aber anzunehmen, dass die Fähigkeit, bewusste Entscheidungen zu treffen, vollständig verloren geht.« Seine Blicke schweiften über das Gesicht des Opfers. Er schien tiefes Mitgefühl zu empfinden. Plötzlich fuhr er verstört zusammen.
»Aber das ist doch ...« Abrupt drehte er den Kopf zur Seite. Der Würgereiz in seiner Kehle machte sich mit gurgelnden Geräuschen bemerkbar. Eilig zog er ein Taschentuch hervor und hustete mit immer röter werdendem Gesicht hinein. Milchige Speicheltropfen liefen über sein Kinn.
»Alles in Ordnung?« Lorenz war erschrocken über die plötzliche und heftige Reaktion und legte dem Professor beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Danke. Es geht schon wieder. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gerne zum Symposium zurückkehren.«
»Natürlich«, willigte Lorenz ein und wandte sich an Tornsen. »Wir sind dann fertig. Tu mir bitte einen Gefallen und schreibe die Ausführungen von Professor Braun mit in deinen Bericht. Wenn du noch etwas herausfinden solltest, dann melde dich bei mir.«
Braun hatte den Raum bereits verlassen und schlurfte Richtung Ausgang. Er zitterte am ganzen Leib. Lorenz folgte ihm.
»Kann ich irgendetwas für Sie tun? Möchten Sie ein Glas Wasser?«
»Nein, danke.« Der Professor hob abwehrend seine Hand und setzte seinen Weg fort.
»Wie Sie wünschen.«
-19-
M it einem sauberen Schnitt hatte er die Kopfhaut von der Schädeldecke gelöst, die nun schlaff, wie behaartes Leder herabhing. Blutig glänzte ihm die Oberfläche des Knochens entgegen. Er wischte mit einem Tuch über die verschmierte Klinge des Skalpells, bevor er es in den Koffer zurücklegte. Dann griff er nach der Säge. Die feinen Zähne des Blattes funkelten hell, als das elektrische Surren der rotierenden Scheibe erklang. Die zähe Masse aus Blut und Knochenmehl legte sich wie ein dicker Film über den Schopf unterhalb der Wunde und strömte unaufhaltsam auf den Fußboden. Die Maschine verstummte wieder. Nur noch wenige Augenblicke trennten ihn von der Erfüllung seines Auftrags. Mit Bedacht führte er das Skalpell in das entstandene Loch und begann den Bereich freizulegen, der sich seinem eigentlichen Ziel noch entgegenstellte. Plötzlich klingelte jemand an der Tür. Er erschrak. Abwartend blickte er auf und verharrte sekundenlang in seiner Position. Es klingelte erneut. Die Schweißperlen auf seiner Stirn glänzten in dem schmalen Streifen einfallenden Lichts, das sich
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