Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Rückweg ließ sie sich durch die Gassen treiben, ohne auf die Richtung zu achten. Sie genoß das Untertauchen in dem Gewühl der Menschen und Tiere. Ein Mann vom Land bot Kapaune an, die an den Füßen zusammengebunden waren und dabei zeterten. Auf Ochsenkarren wurden Steine zu einem Palast transportiert, und eine Pilgergruppe eilte zur nächsten Kirche. Plötzlich stand Silvia vor dem Tiber. Das Wasser dampfte leicht, und der Geruch, der hochdrang, war faulig. An seinem Ufer hockten Wäscherinnen und scherzten mit jungen Männern, die gerade einen Lastkahn entladen hatten. Niemand schien Silvia zu beachten, und sie vergaß die Zeit vor lauter Schauen. Ihr erschien Rom bunt und abenteuerlich, und sie hatte alle Warnungen vergessen.
Als die Sonne unterzugehen begann, fragte sie eine alte Frau, die vor einem Hauseingang hockte, nach Santa Maria ad Martyres. Die Frau schickte sie in die falsche Richtung. Plötzlich fand sie sich von langbärtigen Männern in schwarzen Kaftans umgeben. Sie sprachen eine fremde Sprache. Silvia wagte sie nicht zu fragen. Sie folgte einer Schafherde, die zu einem Platz getrieben wurde. Hier schien sie schon einmal gewesen zu sein, aber nun wurde es langsam dunkel, und plötzlich erfaßte sie Angst. Silvia fragte ein Schankmädchen erneut nach der Kirche. Das Mädchen wandte sich an einen Knecht, der ein nervös tänzelndes Pferd am Zügel führte und sie unwirsch abwies. Silvia begann zu rennen, weil die Straßen immer leerer wurden, und verlor sich in von Unrat übersäten, stinkenden Gassen. Mehrere Glocken schlugen zur Vesper. Sie versuchte auszumachen, woher der Klang kam, und rannte dann in diese Richtung. Und tatsächlich stand sie auch bald darauf an der Rückseite des mächtigen Kuppelbaus.
Als Silvia stehenblieb, um die Gasse zu suchen, die nach Hause führte, berührte sie ein schlechtrasierter Mann am Arm. »Na, Mädchen, willst du nicht mitkommen? Ich zeig’ dir was Schönes.« Er lächelte. Unter seinem Auge zog sich eine tiefe Narbe hin. Sie wollte sich losreißen, aber nun packte er sie fester.
In diesem Augenblick ritt ein Edelmann heran, und der Mann ließ ihren Arm frei. Ohne sich umzudrehen, auch ohne zu danken, lief sie davon.
Silvia glaubte, in der Gasse zu sein, die zu ihrem Haus führen mußte. Sie bog um einen kleinen, entsetzlich stinkenden Fischladen und prallte zurück. Im Eingang eines Hofes stand Rosella. Neben ihr stand der Edelmann, dem Silvia vor ein paar Augenblicken begegnet war, und sprach auf sie ein. Im Halbschatten des Hofes lehnte lässig ein anderer Mann, der ihr ähnelte. Er kaute an einem Zahnstocher und schien gleichzeitig einen Floh zu beobachten, der über seine Handfläche kroch. Der Edelmann drückte Rosella eine Münze in die Hand, schwang sich auf sein Pferd und trabte an Silvia vorbei, ohne auf sie zu achten. Der Wartende knackte nun seinen Floh und spuckte aus.
»Ich muß gehen«, hörte Silvia Rosella sagen.
»Rück den Dukaten raus, Schwesterchen! Du sollst deinen Rotschopf nicht reicher, sondern ärmer machen.«
Widerwillig reichte Rosella ihrem Bruder die Münze.
»Wann sollen wir zuschlagen?« Der Mann biß kurz auf den Dukaten und ließ ihn dann mit einer blitzschnellen Bewegung in eine Tasche gleiten. »Ruffini ist am Ende. Laß ihm den Bankert oder gib ihn unserer Mutter!«
»Nein!« Rosella sprach schnell und mit einer heftigen Bewegung. »Laßt mich in Ruhe. Ich weiß, was ich zu tun habe.«
Wieder spuckte ihr Bruder aus und trat nach einem Hund, der sich ihm schnuppernd genähert hatte. »Du hast noch Schulden.«
»Ich habe bei niemandem Schulden.«
»Keine Geldschulden, das ist richtig. Aber es gibt Leute, die etwas für dich getan haben.«
»Jeder erhält, was ihm zusteht! Und manche Leute verdienen den Galgen.«
»Oho!« Ihr Bruder packte Rosella an ihrem Kleid, aber sie riß sich los und stieß ihn zurück.
»Faß mich nicht an! Diese Zeiten sind vorbei!«
Der Bruder wich zurück, machte eine aufgesetzt kriecherische Bewegung. Aus dem Hof schrie eine alte Frau etwas Unverständliches. »Dann sing noch schön, Nachtigall!« sagte er und zog sich mit einer Verbeugung zurück. »Bis dich der Teufel zu Tode fickt.«
Rosella warf ihm eine unanständige Geste nach und wandte sich zum Gehen.
Silvia folgte ihr, und nach kurzer Zeit standen sie vor ihrem Haus. Rosella verschwand im Seiteneingang, während Silvia überlegte, wie sie unbemerkt hineinschlüpfen konnte. Als es fast dunkel war, trat Barbone, ihr alter
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