Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
vergessen haben. Deine kirchliche Laufbahn ist beendet. Meine Hoffnungen sind begraben.
Die Geier haben gesiegt.«
»Ich sehe draußen aber nur Raben«, erwiderte Alessandro höhnisch.
»Nun hört endlich mit eurem Streit auf«, rief Giulia, die den Tränen nahe war.
In die anschließende Stille hinein drang das Krächzen der Raben, und man sah die schwarzen Gefieder durch die Luft wirbeln. Wütend ging die Mutter ans Fenster, schrie und fuchtelte mit den Armen, um sie zu verscheuchen. Aber die Vögel schwangen sich nur hoch, umkreisten anschließend ungerührt den Turm und krächzten weiter.
Die Mutter setzte sich wieder an den Tisch, und wortlos beendeten sie die Mahlzeit. Nach dem Dankgebet, das jeder stumm vor sich hin sprach, holte sich Alessandro einen Langbogen und dann auch noch eine Armbrust, um den einen oder anderen Raben zu erledigen. Als schließlich der erste tot zu Boden gestürzt war, weigerte sich Rubino, der alte Jagdhund, ihn zu holen. Die Mutter hatte vom Fenster ihres Zimmers zugeschaut. Verärgert über den Ungehorsam des Tiers, beauftragte sie einen Knecht, den Hund zu töten. Bevor Alessandro von ihrem Befehl etwas erfuhr, erschlug der Mann den letzten Jagdhund des Vaters mit einem Knüppel und warf ihn über die Mauer. Rubino blieb in den Ästen eines kahlen Baums hängen, und sofort stürzten sich die Raben auf den Kadaver.
Alessandro erstarrte, als er erkannte, was geschehen war, und Tränen traten ihm in die Augen. Die Raben zerrissen den letzten Spielgefährten seiner Kindheit. Auch die Pfeile, die er in das wild flatternde Knäuel schoß und die einige der Vögel töteten, machten den Jagdhund nicht wieder lebendig. Wütend rannte Alessandro zu seiner Mutter. Am liebsten hätte er sie gepackt und geschüttelt, aber er beherrschte sich und schrie sie nur an: »Warum hast du Rubino erschlagen lassen? Er war Vaters Liebling – und meiner auch.«
»Ein unnützer Fresser«, antwortete sie ungerührt und mischte sich Wein in das Wasser.
»Ehrst du so das Andenken unseres Vaters?« Die Mutter schwieg und wandte sich ab. Wie zu sich selbst sagte sie schließlich doch noch mit leiser Stimme: »Dein Vater hat mich, hat uns alle allein gelassen. Seitdem habe ich kaum noch eine ruhige Nacht.«
Alessandro wollte etwas antworten, unterließ es aber dann. Er konnte auch nicht mit Giulia sprechen, die ihn mit tränenfeuchten Augen ansah, statt dessen verließ er die Burg und holte sich im Hafen ein kleines Boot, in dem er zur Isola Bisentina ruderte. Als erstes wanderte er zum Grab seines Vaters, das jetzt, im Winter, verlassen und vom Efeu überwuchert dalag. Während er ein Gebet sprach, schloß er die Augen. Sein Vater trat aus dem Dunkel und blieb vor ihm stehen, lächelte ihn liebevoll und stolz an. Alessandro fühlte sich schuldig, weil er so selten an ihn dachte, obwohl er ihn doch geliebt hatte – nur hier, in Capodimonte, kamen die Erinnerungen. Seine Augen wurden feucht. Und als er an Rubino denken mußte, als er das Geflatter der Raben vor sich sah, füllten sich die Augen mit Tränen. Sein Vater und er wären jetzt zusammen auf die Jagd gegangen, ohne viel miteinander zu sprechen. Nie hätte der Vater ihn gezwungen, in dem ungeliebten Skriptorenamt zu bleiben, und schon gar nicht hätte er ihn in den Kerker werfen lassen. Den eigenen Sohn! Nur seine Mutter trieb der Ehrgeiz – der falsche Ehrgeiz! Die Mutter wollte das Leben ihrer Kinder bestimmen, der Vater dagegen vertraute ihnen. Er vertraute darauf, daß sie würden, was sie waren. Er kannte den Pindarspruch. Sein Vater hätte ihn auch nach Florenz auf die Accademia Platonica geschickt!
Ruhiger geworden, wanderte Alessandro nun über die feuchten Pfade am Rande des Sees. Manche Uferstellen hatten sich seit seiner Kindheit nicht verändert – hier war er mit Angelo geschwommen, dort am Sirenenfelsen hatte er in der Sonne gelegen, zusammen mit Giulia. In dem bewaldeten Teil der Insel hatten sie Vögeln nachgestellt, Leimruten ausgelegt, Wild beobachtet. Rubino war dabeigewesen.
Und sein Vater hatte ihm beigebracht, wie man mit dem Bogen umging, wie man den Tieren nachstellte, wie man ritt!
Alessandro hockte sich ans Ufer und starrte über die glattpolierte Fläche des Sees. Kein Wind rührte sich. Ein paar Seevögel schwangen sich über das Wasser. In der Ferne ein Fischer in seinem Boot.
Und dort ruderte ein Fährmann seine Familie zum anderen Ufer des Sees. An der Stelle, an der sich das Boot gerade befand, waren Angelo
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