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Bergisch Samba

Bergisch Samba

Titel: Bergisch Samba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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sagte ich. »Aber ich wusste nicht, dass die so groß sind.«
    »Das ist ja auch die größte Ausführung«, sagte Jutta so dahin. »Ein Steinway D. Er ist genau zwei Meter vierundsiebzig lang. So was steht normalerweise auf Konzertpodien.«
    »Und wo ist der Pianist dazu?«
    »Es handelt sich um eine Pianistz«. Sie steht vor dir.«
    »Moment mal! Soll das heißen, dass du jetzt Klavier spielst?«
    »Genau das heißt es.«
    Vorsichtig pirschte ich mich an das Mordsinstrument heran. Die Tastatur war aufgeklappt, das Weiß der Tasten blendete geradezu.
    »Und - wann kann man dich mal mit Rachmaninow oder so was hören?«
    »Das dauert noch ein bisschen. Ich habe vorgestern die erste Klavierstunde gehabt.«
    »Muss man sich als Klavieranfänger gleich einen Konzertflügel kaufen?«
    »Am Instrument soll man nicht sparen, habe ich gedacht.«
    Jutta ging auf den Flügel zu, legte ihre Hand auf den schwarzen Lack und strich sanft darüber, als sei das Klavier ein großer Hund.
    »Darf ich fragen, was der gekostet hat?«
    »Preiswert. Ich habe ihn für neunzigtausend gekriegt.«
    »Euro?«
    Jutta zog die Stirn kraus. »Welche Währung haben wir denn? Taler? Das Hauptproblem war übrigens, ihn hier ins Haus zu kriegen. Die Stufen - du weißt schon.«
    Ich ging zu dem weißen Sofa hinüber und setzte mich. »Wenn ich daran denke, dass ich gestern noch nicht wusste, wie ich meine Miete bezahlen soll.«
    »Wie war's denn mit Arbeiten?«
    Ich verzichtete darauf, mit ihr zu diskutieren. Das hatten wir schon zu oft getan.
    Jutta nahm auf dem Klavierhocker Platz und verschwand fast völlig hinter dem gigantischen Instrument. Ich sah nur noch ihren Kopf herausgucken. Sie lächelte.
    »Bist du etwa schon so weit, dass du mir was vorspielen kannst?«
    »Klar«, kam es hinter dem Flügel hervor. »Mein Lehrer sagt, ich sei sehr begabt.« Kein Wunder, bei einer so finanzkräftigen Schülerin, dachte ich. Sie machte eine Bewegung, und es raschelte. Offenbar blätterte sie in einem Heft.
    »Sag mal…«, begann ich. »Ja?«
    »Du hast gestern am Telefon von einer Überraschung gesprochen. Damit ist nicht vielleicht die Anschaffung dieses Klaviers gemeint, oder?«
    »Doch. Genauso ist es. Und natürlich, dass ich drauf spielen kann.«
    »Und dann hast du noch gesagt, wenn ich die Wette verliere, dann müsste ich mich damit beschäftigen. Was hast du damit gemeint?«
    »Was könnte ich denn wohl gemeint haben, mein lieber Neffe?«
    Alarm!
    Wenn mich Jutta »mein lieber Neffe« nannte, dann war etwas im Busch. Sie hatte damit zwar sachlich Recht, rein verwandtschaftlich gesehen war sie tatsächlich meine Tante, und ich hatte sogar in meiner Jugend nach dem Tod meiner Eltern eine Weile bei ihr gelebt. Aber von alter Tante hatte sie nun überhaupt nichts an sich. Sie war gerade mal zehn Jahre älter als ich, also knapp über fünfzig, und konnte ohne weiteres als Frau von vierzig durchgehen.     
    »Natürlich muss ich dir gleich vorspielen, was ich gelernt habe«, erklärte Jutta enthusiastisch. »Ich hab den ganzen Abend geübt.«
    »Mir wäre es lieber, wenn wir das Konzert verschieben«, sagte ich. »Mir schwirren so viele Sachen im Kopf herum. Wenn ich mich jetzt auf was anderes konzentriere, dann geht da einiges verloren. Abgesehen davon - hast du was zu trinken? Und vielleicht auch eine Kleinigkeit zu essen?«
    Jutta stand auf und seufzte. »Gut. Aber nachher musst du mein pianistisches Talent bewundern, dass das klar ist. Gehen wir in die Küche. Ich mach uns ein Süppchen warm, und du erzählst, was du über das Kind rausgekriegt hast. War es nun ein Fall von Caspar Hauser oder nicht?«
    »Was? Ach so - eigentlich hast du gar nicht mal so Unrecht. Das Kind lebte tatsächlich sehr zurückgezogen, allerdings nicht so extrem wie Caspar Hauser.«
    Wir gingen durch das Esszimmer in die Küche, die halb so groß wie meine ganze Wohnung war. Jutta schnitt Brot, holte einen Topf Suppe aus dem zwei Meter hohen silberfarbenen Kühlschrank und stellte ihn auf den Herd. Ich sah in der Kühlschranktür eine Flasche Früh, nahm sie heraus, holte den Öffner aus der Schublade und köpfte sie. Jutta verzog den Mund, als ich aus der Flasche trank, sagte aber nichts.
    Während das Essen warm wurde, deckte sie den Tisch, und ich erzählte. Von A bis Z. Die Begegnung mit dem Streichquartett, den Besuch bei der Firma Sondermann, das Erlebnis mit Rumpelstilzchen Ehrlich, den Besuch auf der illegalen Müllkippe, bei den Broichs und den Fund der

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