Bergisch Samba
ausgebrannten Hütte sowie das Gespräch mit Fischer. Auch den Typen im Opel ließ ich nicht aus.
Als ich fertig war, las ich Staunen in Juttas Gesicht.
»Ein ganz schönes Tagespensum, das muss ich zugeben«, sagte sie.
»Verstehst du jetzt, warum ich fix und fertig bin?«
»Vollkommen. Und mir ist auch klar, dass du so langsam vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr siehst. Du brauchst den nüchternen Blick auf die Fakten. Die Sicht von außen.«
»Und? Was ergibt diese Sicht?«, fragte ich, denn mir war klar, dass Jutta eine eigene Betrachtung der Dinge einleiten wollte. »Fass dich bitte kurz, wenn's geht.«
»Na gut. Ganz kurz: Das ist eine Neonazi-Geschichte.«
»Meinst du wirklich?«
»Das ist doch sonnenklar. Ganz sicher war die Frau Anfeindungen ausgesetzt. Von irgendwelchen Ausländer-raus-Skandierern. Würde mich nicht wundern, wenn diese Broichs da mit drinstecken.«
»Ich weiß nicht so recht…«
»Und die Sache mit dem Hakenkreuzwald?«
»Mir fehlt da der direkte Zusammenhang. Warum wurde denn die Hütte ausgerechnet jetzt angezündet? Und warum hat mich ausgerechnet jetzt dieser Typ in dem braunen Opel verfolgt? Das sieht doch eher so aus, als wolle jemand verhindern, dass ich bestimmte Dinge herausbekomme.«
»Das eine schließt ja das andere nicht aus«, sagte Jutta und trug den Topf zum Tisch.
»Aber wenn Rechtsradikale dahinter stecken, die was dagegen hatten, dass in der Hütte ein Deutscher mit einer Ausländerin lebt, dann hätten sie doch schon viel früher etwas unternommen.«
Jutta brachte noch einen Korb mit Baguette-Schnitten; ich schöpfte die dampfende Tomatensuppe in die Teller. Der Duft ließ mir das Wasser im Munde zusammenlaufen.
»Haben sie ja vielleicht auch. Immerhin gibt es ein totes Kind. Und außerdem - vielleicht ging es ja gar nicht darum, dass die Frau von diesem Ratnik eine Ausländerin war. Vielleicht war es ja umgekehrt.«
»Wie - umgekehrt?«
»Vielleicht gehört Ratnik zu den Rechtsradikalen. Vielleicht hat er da oben irgend so eine Blut-und-Boden-Theorie verfolgt. Vielleicht hat er irgendein Geheimnis gekannt.«
Ich nahm einen Löffel Suppe und biss in ein Stück Brot. »Jetzt übertreibst du aber«, sagte ich kauend. »Man sollte nicht noch Geheimnisse dazuerfinden. Denn dann wird's wirklich unübersichtlich.«
»Wieso dazuerfinden? Denk an den Hakenkreuzwald. Wenn das kein Geheimnis ist…«
Ich starrte nachdenklich in meine Suppe. »Ob es so einen Wald wirklich gibt?«
»Finde es raus.«
Ich nickte. »Ich werde mich erst mal um das Umfeld von Ratnik kümmern. Fischer hat mir ja verraten, wo er gearbeitet hat.«
Wir aßen schweigend weiter, meine Gedanken kreisten stetig um meinen Fall. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, das Thema erst einmal zurückzustellen, bis ich mehr über Ratnik wusste, kam ich von dem Hakenkreuzwald nicht los. Wie sah so was überhaupt genau aus?
Es musste eine große freie Fläche sein, wahrscheinlich ziemlich eben, und dann waren da Zweier- oder Dreierreihen von Bäumen in einem riesigen Kreuz angeordnet, und an den Spitzen der beiden Linien ging es dann noch jeweils um eine 90-Grad-Ecke. Man würde das Ergebnis vielleicht nur vom Flugzeug aus sehen können. Und sicher war dieser Wald auch deswegen so schwer zu finden. Weil man ihn vom Boden aus gar nicht als Hakenkreuz erkennen konnte.
Warum sollte jemand eigentlich so einen Wald anpflanzen? Einfach so? Weil der »Führer« gerade mit dem Flugzeug vorbeikam?
Nehmen wir an, irgendein Nazi-Förster hat die Eichen 1933 angepflanzt, dachte ich. Konnten die Dinger denn in zwölf Jahren Nazizeit einen Wald bilden, der so richtig was hermachte? Wie schnell wuchsen Eichen eigentlich?
»Na, in Gedanken versunken?«, fragte Jutta und räumte die Teller in die Spülmaschine.
»Ich komme nicht davon los. Ob dieser Hakenkreuzwald irgend so eine nationalsozialistische Thingstätte oder so was ist? So ein Kultplatz für irgendwelche Sonnenwendfeiern?« Mir fiel einer meiner Fälle ein, wo es um moderne Hexen im Bergischen Land gegangen war, die mit allerlei Ritualen am Lüderich die Walpurgisnacht begingen.
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte Jutta. »Warum soll es so was im Bergischen Land nicht gegeben haben?«
»Ich frage mich eher, ob es das heute noch gibt.« Ich zündete mir eine Zigarette an.
»Jetzt geh erst mal nach Plan vor. Kümmere dich morgen um diesen Ratnik. Vielleicht ist er ja gar nicht nach Kanada ausgewandert. Vielleicht arbeitet er immer
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