Bergisch Samba
noch in der Zimmerei und ist mit der Frau zusammen, und sie wohnen eben woanders.«
»Und das Kind?«
»Das Kind ist…« Jutta rang nach Worten.
»Ja?«
»Es ist bei einem tragischen Verkehrsunfall umgekommen, und Ratnik und seine Frau versuchen die Sache unter dem Deckel zu halten.«
»Und warum?«
»Weil … die Frau illegal in Deutschland lebt und die ganze Sache rauskommen würde, wenn man den Tod des Kindes anzeigen würde.«
Ich stand auf und holte mir einen Aschenbecher von der Küchenarbeitsfläche. »Wenn die Frau Portugiesin war, dann lebte sie nicht illegal hier. Trotzdem, diese Version finde ich viel überzeugender als diese mysteriösen Nazisachen.«
»Na siehst du. Morgen weißt du mehr.«
Ich nickte, saß einfach nur da, zog an meiner Zigarette und schwieg. Mir war klar, dass Juttas Theorie nur den einen Sinn hatte - mich von den düsteren Gedanken abzubringen, demnächst in der Nazi-Szene recherchieren zu müssen. Ich musste an den Rechtsanwaltsmord in Overath vom Oktober denken. Ein selbst ernannter »Bereiniger des deutschen Volkskörpers« hatte mit einer Pumpgun einen Anwalt sowie dessen Tochter und Ehefrau erschossen. Er hatte die Tat als »Maßnahme zur Gesundung des deutschen Volkes« bezeichnet, dabei hatte der Anwalt schlicht und ergreifend dessen ehemaligen Vermieter vertreten, bei dem er zehntausend Euro Mietschulden angehäuft hatte. Irgendetwas Dunkles breitete sich in mir aus wie eine bedrohliche Wolke.
Ich versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren, und drückte sehr sorgfältig die Zigarette aus. Ich beseitigte jedes einzelne rote Glutpünktchen, und mir kam es vor, als brächte ich eine halbe Stunde damit zu.
Jutta setzte sich neben mich. »Remi. Was ist denn mit dir los?« Ihre Stimme klang sanft.
»Ach, vielleicht bin ich einfach nur müde.«
»Du wirst den Fall schon lösen, da bin ich ganz sicher.«
»Ja, klar.«
»Denkst du noch oft an Svetlana? Hat es damit vielleicht was zu tun?«
Ich nickte nur. In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß, und als ich ihn endlich los war, ertappte ich mich dabei, wie ich immer noch in den Aschenbecher starrte und der längst kalten Kippe den Rest gab.
»Das war eine Scheißsituation damals«, sagte ich, und sofort hatte ich die Bilder wieder vor Augen. Das junge Mädchen, dem das Blut aus dem Hals schoss, weil jemand mit meiner Waffe aus nächster Nähe auf sie gefeuert hatte. Das Bild vermischte sich mit den Eindrücken aus meinem Traum von letzter Nacht.
Jutta legte mir die Hand auf die Schulter. »Lass uns rüber ins Wohnzimmer gehen.«
Ich riss mich von der Erinnerung los. »Was kommt denn im Fernsehen?«
»Nix Fernsehen. Jetzt gibt's klassisches Konzert.«
Wir gingen hinüber, ich setzte mich in die weiße Ledercouch, und Jutta verschwand hinter dem Flügelmonster.
»Wie heißt denn das Stück?«, fragte ich.
»Es hat keinen Titel«, kam es von der anderen Flügelseite. Ich konnte nur ein Stück von Juttas Stirn und ihre Haare sehen. »Es geht los.« Sie wartete noch einen Moment und begann.
PLING! PLING! PLINGPLINGPLINGPLING!
»Moment, ich hab mich verspielt…«
PLING! PLING! PLING! PLINGPLINGPLINGPLINGPLING!!
Stille.
PLINGGGGÜ!
Die Pause danach war ziemlich lang. Juttas Haare hinter dem Monsterflügel bewegten sich nicht.
»War's das?«, fragte ich in die Stille hinein.
»Ehrlich gesagt, ja. Es ist das erste Stück in der Klavierschule. Es hat nur vier Takte.«
Ich applaudierte matt.
8. Kapitel
Um halb acht weckte mich Radio Wuppertal mit den Lokalnachrichten. Ich hielt mir ein Kissen über das Ohr und verschwand wieder in einer wüsten Traumlandschaft. Da gab es Wälder, deren Ränder schnurgerade waren, bis sie dann plötzlich einen 90-Grad-Haken bildeten. Irgendjemand trieb mich an, diesen Wald zu durchqueren, und ich rannte durch das Unterholz, als wäre der Teufel hinter mir her. Vielleicht war es ja auch so. Plötzlich hörte ich Pop-Musik mit hartem Schlagzeug aus der Mitte des Waldes - etwa da, wo das Zentrum des riesigen Hakenkreuzes war. Ich schlug die Augen auf. Die Musik kam aus dem Radiowecker, und es war kurz vor halb neun.
Ich machte, dass ich aus dem Bett kam, wurde jedoch durch ein schmerzhaftes Ziehen in den Beinen gebremst. Muskelkater. Ich versuchte, mich zu entspannen, während ich die Kaffeemaschine lud. Ich schaltete sie ein und ging unter die Dusche.
Zehn Minuten später hatte ich mich angezogen und saß mit einer Tasse Kaffee im Büro.
Als Erstes rief
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