Bergisch Samba
blauen Augen, legte mir die Hand auf die Schulter. »Wir rufen Sie an«, sagte sie leise. »Sie können hier nichts tun.«
Ich wollte ihr widersprechen. Ich wollte ihr sagen, dass ich eine Menge tun konnte. Ich konnte zum Beispiel bei ihr sein, wenn sie starb. Das war ja wohl das Mindeste.
Aber dann ging ich doch wieder. Ich fuhr mit dem Aufzug nach unten, stieg ins Auto und suchte im Atlas »Bergisches Land - Sauerland« die Aggertalsperre. Lantenbach lag westlich davon. Man erreichte den Ort, der zu Gummersbach gehörte, wenn man von der Innenstadt aus die L323 nahm. Die Straße traf im spitzen Winkel eine andere, die am Stausee entlang verlief. Und genau in diesem Winkel befand sich die Imbissstube Alt-Aggersee, wo ich mit Jutta Frit-ten gegessen hatte. Wie lange war das her? Eine Woche? Ich konnte nicht glauben, dass es gestern gewesen war.
Zehn Minuten später fuhr ich in Lantenbach den Berg hinauf. Die Straße hieß Steinweg und führte mitten durch Wohnsiedlungen in Hanglage. Oben machte der Weg eine scharfe Kurve und verlief auf der Höhe weiter. Ich stoppte den Wagen, als sich auf der rechten Seite eine große Weide öffnete. Dahinter lagen die Hügel des Bergischen Landes, ein Buckel hinter dem anderen und alle mit Nadelwald bewachsen. Ganz vorn gab es in gleichmäßigen Grün gerade gelbe Striche, als hätte jemand mit einem riesigen Stift in den Wald gezeichnet. Es waren die Spitzen der Lärchen. Es war nicht zu erkennen, dass hinter dem Hügel die Linien noch weitergingen.
Betrachtete man nur den Ausschnitt, den man von hier sehen konnte, dann war der Eindruck verblüffend. Hätte ich das Muster nie aus der Luft gesehen, sondern immer nur von dieser Stelle aus -ich hätte es sofort für ein Hakenkreuz gehalten. Jutta hatte vollkommen Recht gehabt.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort oben blieb und das bedrohliche Zeichen im Wald anstarrte. Irgendwann konnte ich meine Gedanken so weit ordnen, dass ich es schaffte, den Faden wieder aufzunehmen, wo ich ihn zusammen mit Jutta verloren hatte.
15. Kapitel
Das Messingschild, auf dem »Steuerberaterin Gabriele Richard« stand, erschien mir viel sauberer als gestern. Es kam mir vor, als hätte jemand das Metall extra für mich blank gewienert. Vielleicht um einen Kontrast zur hässlichen Umgebung zu bilden. Der Strom der Fahrzeuge auf der Landwehrstraße riss nicht ab. Ich stand mitten im Verkehrslärm.
Ich klingelte und wartete, von Krach umtost. Nichts passierte. Niemand öffnete.
Ich ging zwei Schritte auf dem Gehsteig zurück und nahm das bergische Haus in Augenschein. Gleich neben dem Eingang lag ebenerdig das Büro der Steuerberaterin. Ich erkannte hinter der Scheibe einen Kaktus auf der Fensterbank. Im Raum war es dunkel.
Die Bürogehilfin hatte gesagt, dass Frau Richard im ersten Stock ihre Wohnung hatte, ich entdeckte aber keine Privatklingel. Es gab nur diesen einen Knopf unter dem Messingschild. Ich erkundete noch einmal die Fassade. Oben gab es vier Fenster mit weiß gestrichenen Rahmen und schmucken Fensterkreuzen. Ich klingelte wieder, trat zurück und sah wieder nach oben. Nichts tat sich.
Einen Hintereingang gab es nicht. Neben dem Haus führte eine kleine Einfahrt zu einer geschlossenen Garage. Dann kam direkt das Nachbargrundstück mit einem gesichtslosen Einfamilienhaus. Ich wartete eine Weile und sah dem Verkehr zu. Dann fasste ich einen Entschluss und klingelte bei den Nachbarn.
Eine alte Frau öffnete.
»Entschuldigen Sie. Ich bin ein Mandant von Frau Richard«, sagte ich. »Eigentlich war ich mit ihr verabredet. Können Sie mir sagen, wo sie ist?«
Ich hoffte, dass die alte Frau über die Gewohnheiten von Frau Richard informiert war und dass sie noch nie was von Handys und Anrufbeantwortern gehört hatte.
Sie schüttelte nur den Kopf. »Ist sie denn nicht da?«
»Nein, leider nicht. Das ist ja das Problem. Und ich hab's ziemlich eilig.«
»Aber heute ist doch Samstag«, sagte die Frau.
»Ich weiß, aber wir hatten trotzdem …«
»Samstags kommt doch immer der Mann mit dem Kind.«
»Aha«, sagte ich. »Und was heißt das?«
»Die Mandanten von der Frau Richard wissen das.«
Ich versuchte, einen unschuldigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. »Gut. Kann ja sein. Ich müsste sie trotzdem sprechen.«
»Die arbeitet doch samstags nicht. Wie gesagt. Wegen dem Mann und dem Kind.«
»Das klingt, als wüssten Sie, wo ich sie erreichen kann.«
»Warten Sie einfach. Die wird schon kommen. Sie kauft wahrscheinlich
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