Bergrichters Erdenwallen
vorfand und ein scharf geschliffenes Federmesserchen, dessen eine Klinge offen stand und vom Fädchen einer aufgetrennten Naht umwickelt war. Alles Zeichen für eine wohlvorbereitete Täuschung über den Selbstmord.
Ehrenstraßer nahm alle diese Gegenstände an sich, dann bat er Franz, einzutreten. Das Schwierigste sollte sich nun abspielen und soll dabei dem Sohne doch für jetzt noch verheimlicht bleiben.
Der Richter eröffnete Franz, daß es gelungen sei, die Mordwaffe aufzufinden.
„Und vom Mörder haben Sie noch keine Spur?“
„Doch! Ich kann hierüber aber noch nicht sprechen. Dagegen möchte ich Ihnen die Waffe zeigen!“ sagte Ehrenstraßer und nahm die Pistole, welche er ad hoc bei sich führte, aus der Tasche.
Kaum hatte sie Franz erblickt, schrie er. „Um Gotteswillen! Das ischt ja Papas Schießzeug, das er stets ungeladen im Nachttischchen liegen hatte zur Beruhigung der immer ängstlichen Mama! Mit dieser Pistole kann doch Papa nicht erschossen worden sein!“
Für den Untersuchungsrichter genügte die Agnoszierung der Waffe als Eigentum des Fabrikanten völlig.
„Es muß ein Irrtum oder die Pistole vom Mörder vorher gestohlen worden sein! O Gott, wie entsetzlich ischt doch dieses Ereignis!“ jammerte Franz.
Ehrenstraßer wollte seine Entdeckung noch nicht kundgeben, außerdem noch einige Versuche am Thatorte anstellen, weshalb er von Franz sich verabschiedete und den Weg zur Sattelbrücke einschlug.
Dort angekommen, suchte der Untersuchungsrichter einen ähnlichen Stein, band eine zweite Schnur daran, sowie die Pistole und operierte in der Weise, wie mutmaßlich Ratschiller es gethan haben mochte. Diese Versuche ergaben, daß die Sache thatsächlich ganz gut geht und daß die Pistole jedesmal das Brückengeländer verletzt.
Dies in Verbindung mit den Resultaten der heutigen Versuche in Ratschillers Komptoir, muß den letzten Zweifel beseitigen, die Untersuchung dieses Falles kann geschlossen werden.
Tieftraurig kehrte Ehrenstraßer zur Stadt zurück, versunken in Gedanken. Diesmal wird die Erfüllung der beschworenen Dienstpflicht qualvoll nach jeder Richtung.
Eine Verheimlichung des eklatanten Selbstmordes muß als ausgeschlossen betrachtet werden. Was aber wird die Aufdeckung von Amts wegen zur Folge haben?
Zunächst die Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses durch das zuständige Pfarramt. Die Beerdigung hat schon heute nachmittag zu erfolgen. Welch neuen, tiefen Schmerz im Hause Ratschiller muß die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses hervorrufen! — An Geistesgestörtheit ist nicht zu denken, der Selbstmord ist geradezu mit Raffinement vorbereitet worden, die Täuschung so geschickt gemacht, daß ihr ein Anfänger in der Gerichtspraxis zweifellos zum Opfer gefallen wäre.
Eine zweite Folge der Bekanntgabe des Untersuchungsresultates wird sein, daß sich die Versicherungsgesellschaft weigern wird, die Police zu honorieren. Die Familie Ratschiller wird keinen Heller erhalten, die eingezahlten Prämien sind rettungslos verloren. Inwieweit die Bekanntgabe des Selbstmordes das Geschäft selbst und den Fabrikbetrieb berühren und schädigen wird, Ehrenstraßer vermag das gar nicht auszudenken. Möglicherweise zeitigt der Fall vollständigen Bankerott der Firma.
Und wie schmerzlich ist der Fall für Ehrenstraßer selbst und seine Tochter!
Darf sich aber ein Richter von solchen Erwägungen leiten oder beeinflussen lassen? Die Antwort auf eine solche Frage muß ein starres Nein sein, die Amtspflicht kennt keine Rücksicht, darf sie nicht kennen.
Eine andere Frage drängte sich dem gepeinigten Richter auf, die Zeitfrage. Ist es zwingend notwendig, das Untersuchungsresultat schon heute bekannt zu geben?
Sonst vergehen oft Monate, bis eine Untersuchung abgeschlossen werden kann. Ist es nicht Zufall gewesen, daß Ehrenstraßer in so kurzer Zeit, binnen zwei Tagen, dem Selbstmord auf die Spur kam?
Hält der Richter mit der Bekanntgabe wenigstens einige Stunden zurück, so wird doch das kirchliche Begräbnis ermöglicht, und ein bitterer Schmerz bleibt der armen Familie erspart.
Aber was wird das in diesem Falle dupierte Pfarramt sagen, wenn es erfährt, daß das Gericht vom Selbstmord schon vor der Begräbnisstunde Kenntnis hatte? Wer kann den Untersuchungsrichter in dieser Beziehung kontrollieren? Niemand! Aber was sagt das eigene Bewußtsein, das Pflichtgefühl?
„O Gott! Es ischt qualvoll!“ stöhnte Ehrenstraßer und rang nach einem definitiven Entschluß um so
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