Bergrichters Erdenwallen
die an sich bei ruhigem Verhalten im Wagen gefahrlose Fahrt vom Stadtberg hinunter zur Fabrik mit mir zu unternehmen!“
„Sie sind aber nicht herabgestürzt?“
„Ich fuhr ja nicht mit!“
„Warum nicht?“
„Wir standen im Durchlaufsraum des Verankerungsgebäudes. Frau von Bauerntanz empfand Vergnügen an der Sache und hüpfte plötzlich in einen durchlaufenden Wagen, der im normal raschen Laufe mit ihr davonrollte, ehe ich mich hineinschwingen konnte. Lachend fuhr die Dame durch die Luft im Rollwagen davon.“
„Und was thaten Sie nun?“
„Ich empfand nun doch Angst, verließ das Verankerungsgebäude und lief dem Luftwagen nach, soweit das bestockte und bergige Terrain dies erlaubte. Ein gellender Schrei belehrte mich, daß ein Unglück geschehen sein mußte; ich eilte dem Gehör nach in der Richtung der Seilbahn und fand die Dame abgestürzt am Waldboden liegen.“
„Wie erklären Sie sich diesen Sturz?“
„Mutmaßlich ein Schwindelanfall oder ein unvorsichtiges Hinausbeugen, wodurch der Wagen umkippte!“
Ehrenstraßer fühlte sich durch diese Angaben nicht befriedigt, seine Gedanken kehrten immer wieder zu der Frage zurück. Wie kommt die Dame allein mit dem Fabrikleiter in jene einsame, entlegene Gegend und auf den Gedanken, eine so waghalsige Fahrt durch die Luft zu unternehmen?
Da der Zug eben in der Fabrik anlangte, konnte Ehrenstraßer nicht weitere Fragen an Hundertpfund richten; die bewußtlose Dame wurde in die Dienstwohnung des Fabrikleiters gebracht und dieser selbst verlangte telephonisch ärztliche Hilfe und Leute aus dem Krankenhause. Unterdessen traf aber schon Dr. von Bauerntanz selbst ein, der in größter Bestürzung an die Lagerstätte seiner Gattin trat und sich von Ehrenstraßer eine kurze Schilderung des Thatbestandes erbat. Hundertpfund hatte sich still entfernt.
Der ärztliche Befund ergab zunächst Arm- und Beinbruch; wahrscheinlich auch eine Gehirnerschütterung; starke Quetschwunden am Kopf. Der Bezirksarzt bemühte sich um seine Gattin und ein bald erschienener Stadtarzt unterstützte ihn dabei. Ehrenstraßer besprach den Fall mit dem Wachtmeister, welcher nur rapportieren konnte, daß er in dem Augenblick zur Unglücksstelle gekommen sei, als der Fabrikleiter die Dame auf die Bahre legte.
„Wie hat er sich dabei benommen?“
„Sehr aufgeregt!“
„Haben Sie etwa wahrgenommen, daß ihn Ihr Erscheinen erschreckte?“
„Mir ischt nichts Diesbezügliches aufgefallen.“
„Halten Sie es für angezeigt, daß eine Dame solche gefährliche Luftfahrt allein unternimmt?“
„Nein, Herr Bezirksrichter!“
Ehrenstraßer begab sich, vom Wachtmeister begleitet, abermals hinauf zum Verankerungsgebäude, um die Situation zu studieren. Regelmäßig kamen auf dem einen Drahtseil die mit Cementfässern beladenen Wagen herauf, liefen durch das Holzgebäude durch und rollten weiter zur großen Spannung, die zum Bahnhofmagazin führt; auf dem anderen Seil bewegten sich in fixierten Abständen die Wagen mit Grieskohle, wovon jedoch auch viele leer zur Fabrik liefen. Das Durchlaufen durch das Verankerungsgebäude vollzieht sich in kaum einer Minute. Diese Spanne Zeit würde aber vollständig genügen, um einer Person, die bereits im Wägelchen sich befand, das Herausspringen im allerletzten Augenblick zu gestatten, falls diese Person eben nicht mitfahren wollte.
Hundertpfund — so kalkulierte der Richter — konnte also im durchlaufenden Wagen gewesen sein, gleichsam um durch seine Mitfahrt die Dame zu beruhigen, er konnte aber ebensogut auf die Rampe herausgesprungen sein, bevor dieser Luftwagen die Station verließ.
Welches Motiv konnte er zu solchem Verhalten gehabt haben? Weshalb ließ er die Dame die grausige Fahrt allein machen? Welchen Gewinn konnte er erhoffen, wenn der Dame beispielsweise der Sturz das Leben kostete?
Ehrenstraßer stellte sich in Gedanken diese Fragen, doch fand er keine Antwort darauf es hapert in der Prämisse.
Man kehrte in die Fabrik zurück; die noch immer bewußtlose Doktorin wurde nun in die Stadt getragen. Es fiel dem Richter auf, daß sich Hundertpfund ferne hielt; der Mann weicht also aus, doch wem gilt dies? Will der Fabrikleiter mit dem Gatten der Doktorin nicht in Berührung kommen oder weicht er dem Richter aus? Gesetzt den Fall, er scheut die Begegnung mit dem Gatten, so fragt sich, weshalb er mit diesem nicht zusammenkommen will?
Ein jäher Gedanke schoß Ehrenstraßer durch den Kopf und dieser Gedanke läßt sich ausspinnen,
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