Bericht vom Leben nach dem Tode
Junge war, zogen wir nach Kanada. Dort bin ich groß geworden. Bei Kriegsausbruch meldete ich mich freiwillig und fiel an der belgischen Front… Sie können das alles nachprüfen.«
Er nannte seinen Namen – wie gesagt, unter dem Siegel der Verschwiegenheit –, Tag und Ort seines Todes, die genaue Bezeichnung seiner Truppeneinheit und seine Heimatanschrift. Ich schrieb an seine Hinterbliebenen, tat so, als ginge es um die Feststellung von verwandtschaftlichen Beziehungen, und fragte nach den einzelnen Familienangehörigen, die Fletcher erwähnt hatte. Einer seiner Brüder antwortete mir und bestätigte mir die Angaben über den Tod seines Bruders.
Eine Fotografie, irgendein reales Bild von ihm habe ich nie zu Gesicht bekommen, und doch habe ich ihn oft, kurz bevor ich in Trance fiel, für Sekunden deutlich vor mir gesehen: als einen jungen, aufgeweckten Burschen. Ich kann allerdings weniger seine Gesichtszüge beschreiben als sein Wesen. Das liegt vielleicht daran, daß ich ihn viel zu dicht vor mir sah, um ihn genau zu erkennen. Wenn man ein Objekt zu nahe an die Augen heranbringt, verschwimmen seine Konturen, man spürt es mehr, als daß man es sieht. So war es auch mit Fletcher. Ich hatte manchmal das Gefühl, daß sein Gesicht, sein Körper durch meine geschlossenen Augen in mich übergingen. Es war der Moment, in dem ich das Bewußtsein verlor.
In der folgenden Zeit wurden wir unzertrennlich. Fletcher erschien in nahezu jeder Sitzung, wenn auch einmal deutlicher und ein andermal nur wie von fern, mal gut gelaunt, mal in schlechter Stimmung. Wir trainierten miteinander wie Sportskameraden, nur daß es hier um die Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den beiden Sphären ging. Wir bildeten eine Arbeitsgemeinschaft, wie ich sie mir schon so lange gewünscht hatte; ich empfand Fletcher als einen genauso guten und genauso lebendigen Freund wie meine irdischen Freunde um mich herum, und Fletcher versicherte mir, daß diese große Sympathie auf Gegenseitigkeit beruhe. Gewiß war dies nicht die unwichtigste Voraussetzung für das Funktionieren unserer Zusammenarbeit.
Meistens meldete er sich, sobald ich in Trance war, mit einem jungenhaften »Hallo!«, aus dem man sogleich seinen französisch-kanadischen Akzent heraushörte. Meist sprach er für unsere Begriffe auffallend langsam und überdeutlich, und er beklagte sich oft darüber, daß seine Partner im Jenseits, deren Botschaften er entweder selbst übermitteln oder nur ankündigen sollte, viel zu schnell sprachen, nämlich so schnell wie im vorigen Leben, und das führte zu großen Verständigungsschwierigkeiten, vor allem zu Irrtümern bei der Weitergabe von komplizierteren Eigennamen, und das alles bedeutete Zeitverlust, wenn nicht gar das Mißlingen der Séance überhaupt. Denn ich konnte ja nicht beliebig lange in diesem Energien verzehrenden Zustand einer Bewußtlosigkeit verharren, die nicht mit einer gewöhnlichen Ohnmacht zu vergleichen ist. Und schließlich schadete die von Fletcher als hektisch und unkonzentriert getadelte Sprechweise der Körperlosen auch unserem Renommé! So manches bedauernde oder ärgerliche Kopfschütteln (»Ist ja doch alles Unsinn!«) unter den Teilnehmern auf dieser Seite unseres »Spiels ohne Grenzen« verdankten wir dem Umstand, daß sich Fletchers Schützling auf seiner neuen Bewußtseinsebene noch nicht so recht akklimatisiert hatte. Auf diese Anpassungsschwierigkeiten komme ich noch an anderer Stelle ausführlich zu sprechen.
Ein weiteres Handikap für Fletchers Dolmetschertätigkeit war ein Faktum, das ich hier ohne jedes Werturteil über meinen Partner nennen muß: Er brachte uns oft mit Persönlichkeiten ins Gespräch, die ein Vokabular benutzten, das ihm, selbst langsam gesprochen, nicht verständlich war. Fletcher hatte nun einmal keine akademische Bildung genossen und daher keine großen Fremdwortkenntnisse, von irgendeiner Fachsprache ganz zu schweigen. Er war indessen äußerst lernbegierig und wiederholte ein ihm bis dahin unbekanntes Wort so oft, bis er es richtig aussprach. Der Beifall der Séanceteilnehmer belohnte ihn für seine Mühe. Aber er liebte es gar nicht, wenn sich, nachdem er ein Wort falsch betont oder falsch angewandt hatte, im Raum leises Lachen erhob. Dann konnte er sehr ironisch werden. »Was meint der komische Kauz dahinten in der Ecke?« oder »Ihr Name, Mylady, klingt auch nicht viel besser!« rief er ins Publikum, wie ein verärgerter Conferencier, der sich für die
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