Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Landes gestoppt wurde.
Die einzige Möglichkeit war Eindämmung.
OSTBERLIN
FREITAG, 11. AUGUST 1961
Weniger als sechsunddreißig Stunden vor Beginn der Operation traf sich der sowjetische Kriegsheld Marschall Iwan Konew zum ersten Mal mit Ulbricht. Um eine disziplinierte Durchführung und den Erfolg der Operation zu garantieren, hatte Chruschtschow ihn an die Spitze aller sowjetischen Truppen in der DDR gestellt und damit General Iwan Jakubowskij abgelöst, der künftig als sein Stellvertreter fungieren sollte. Chruschtschows Schachzug steckte voller Symbolik. Einer der großen Helden der sowjetischen Geschichte kehrte zu einem Comeback nach Berlin zurück.
Der dreiundsechzigjährige Konew war ein hochgewachsener, skrupelloser Mann mit sorgfältig rasierter Glatze und blauen Augen, die verschmitzt zwinkerten. Im Zweiten Weltkrieg waren seine Truppen, nachdem sie Osteuropa befreit hatten, von Süden her in die deutsche Hauptstadt eingerückt und hatten, gemeinsam mit den Soldaten Marschall Schukows, in den blutigen Straßenschlachten vom Mai 1945 die Nazis besiegt. Für seine Heldentaten hatte er sechs Lenin-Orden erhalten, wurde zweifach als »Held der Sowjetunion« geehrt und war anschließend Oberbefehlshaber des Warschauer Pakts gewesen. 10
Der Marschall dürfte wohl der beste Mann für die bevorstehende Aufgabe gewesen sein, denn er hatte schon die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands 1956 in Budapest geleitet, bei dem 2500 Ungarn und 700 sowjetische
Soldaten ums Leben gekommen waren. Rund 200 000 Ungarn waren damals aus dem Land geflohen. In Anbetracht von Konews früherem Verhalten gegenüber den Deutschen wusste Chruschtschow darüber hinaus, dass der Marschall selbst vor blutigen Entscheidungen nicht zurückschrecken würde.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Konew eine deutsche Division auf dem Rückzug bis in die sowjetische Kleinstadt Schanderowka verfolgt. Nachdem Konew die Stadt umstellt hatte, um jedes Entkommen der deutschen Soldaten zu verhindern, die dort Zuflucht vor einem Schneesturm gesucht hatten, räucherte er seine Feinde mit Brandbomben aus. Seine T-34-Panzer zermalmten danach die flüchtenden deutschen Truppen, die dem Maschinengewehrfeuer entkommen waren. Dem Vernehmen nach machten schließlich seine Kosaken die letzten Überlebenden mit ihren Säbeln nieder und hackten sogar Arme ab, die zum Zeichen der Kapitulation erhoben waren. Seine Männer metzelten 20 000 Deutsche nieder. 11
Chruschtschow ging ein gewisses Risiko ein, indem er einen so hochdekorierten Militär nur wenige Tag vor einer angeblich geheimen Operation nach Ostdeutschland schickte. Um die provokative Wirkung noch zu steigern, hatte General Jakubowskij am Vortag die militärischen Verbindungsoffiziere, die die drei westlichen Alliierten in Berlin repräsentierten, eingeladen, sich mit seinem bislang unangekündigten Nachfolger zu treffen.
»Meine Herren, mein Name ist Konew«, hatte der Marschall sie mit rauer Stimme begrüßt. »Sie haben vielleicht schon von mir gehört.«
Konew genoss die sichtliche Verblüffung auf den Gesichtern der westlichen Alliierten, als seine Erklärung von den drei Dolmetschern in ihre Sprachen übersetzt wurde. »Sie sind beim Oberkommandierenden der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland akkreditiert«, sagte er. »Nun, ich bin jetzt der Oberkommandierende, und ich bin es, bei dem Sie von jetzt an akkreditiert sein werden.« Er bat die Verbindungsoffiziere, ihre Befehlshaber über den Wechsel und den Umstand zu informieren, dass sein Freund General Jakubowskij künftig sein Stellvertreter sein werde.
Er erkundigte sich, ob noch jemand Fragen habe. Die anfangs sprachlosen amerikanischen und britischen Offiziere richteten linkisch die Glückwünsche ihrer Vorgesetzten aus. Der französische Offizier erklärte jedoch, dass ihm dies nicht möglich sei, weil sein Befehlshaber entweder von Konews Anwesenheit in Berlin oder von der Übernahme des Kommandos nichts gewusst habe.
»Von Soldat zu Soldat«, sagte Konew und lächelte den französischen Offizier verschmitzt an, »will ich Ihnen etwas sagen, damit Sie es Ihrem General
ausrichten können: Ich habe meine Offiziere stets daran erinnert, dass sich ein Kommandant niemals überrumpeln lassen darf.«
In Anbetracht der folgenden Ereignisse war das »Schauspiel« hochkarätig besetzt.
Konew hatte keine detaillierten Befehle, wie er antworten solle, falls die Westmächte aggressiver als erwartet auf die Grenzschließung
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