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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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reagieren sollten. Chruschtschow vertraute darauf, dass sein resoluter Befehlshaber die richtige Entscheidung treffen würde. In der Rolle des unmittelbaren Vorgesetzten Ulbrichts ermahnte Konew den ostdeutschen Staatschef, dass der Erfolg von zwei unabdingbaren Aspekten abhänge. Beim Schließen der Grenze, sagte er, dürfe es ostdeutschen Kräften zu keiner Zeit erlaubt werden, die Fähigkeit der Westberliner oder der westlichen Alliierten zu unterbinden, auf dem Luftweg, auf der Straße oder Schiene nach und von Westdeutschland zu wechseln.
    Zweitens müsse die Operation in Windeseile über die Bühne gehen.
    Chruschtschow hatte dafür gesorgt, dass »die Errichtung einer Grenzkontrolle in der DDR dem Westen weder das Recht [gab], noch ihm einen Vorwand lieferte, die zwischen uns bestehenden Meinungsverschiedenheiten durch einen Krieg aus der Welt zu schaffen«. 12 Für den Erfolg der Aktion hielt Konew Geschwindigkeit für unerlässlich, um vollendete Tatsachen zu schaffen, die Loyalität der ostdeutschen Kräfte zu gewährleisten und irgendwelche schießwütigen amerikanischen Befehlshaber von eigenmächtigen Aktionen abzubringen. Eine rasch durchgeführte Operation konnte dem Westen auch demonstrieren, dass es unmöglich war, die Fakten rückgängig zu machen, die kommunistische Truppen vor Ort schaffen würden.
    VOLKSKAMMER, OSTBERLIN
FREITAG, 11. AUGUST 1961, 10:00 UHR
    Der sechsundzwanzigjährige Adam Kellett-Long von der Agentur Reuters war der einzige westliche Nachrichtenkorrespondent, der im kommunistischen Ostberlin seinen Sitz hatte — und das war dem jungen Mann nur recht. Eine ganze Horde Reporter stritt sich in Westberlin um jede noch so kleine Neuigkeit, aber er hatte die kommunistische Seite ganz für sich. Das lag an einem Arrangement der DDR mit der Nachrichtenagentur, dem zufolge ihm ein Büro zur Verfügung gestellt und die Akkreditierung gewährt wurde. Ulbricht nannte
Kellett-Long »meinen kleinen Schatten« und spielte damit auf seine häufige Anwesenheit an.
    Dennoch war der Telefonanruf des ostdeutschen Presseamts an jenem Morgen ungewöhnlich. Der junge Reporter wurde förmlich gedrängt, über eine Sondersitzung der Volkskammer in der Luisenstraße am Freitag, dem 11. August, um 10 Uhr zu berichten. In der Regel mied der britische Reporter die öden Sitzungen der Volkskammer, weil es ziemlich unwahrscheinlich war, dass seine Agentur jemals einen Bericht darüber drucken würde. Aber wenn seine ostdeutschen Aufpasser so großen Wert auf seine Anwesenheit legten, dann musste das einen Grund haben.
    Das Parlament verabschiedete an jenem Tag eine, wie Kellett-Long meinte, »rätselhafte Resolution«, in der es hieß, dass seine Mitglieder sämtliche Maßnahmen billigten, die die ostdeutsche Regierung angesichts der »revanchistischen« Lage in Berlin ergreifen wolle. Das war ein Blankoscheck für Ulbricht.
    Vor dem Plenarsaal löcherte Kellett-Long seinen zuverlässigsten Informanten, Horst Sindermann, der die Propagandaaktionen der SED leitete. »Was soll das Ganze?«, fragte Kellett-Long.
    Sindermann war nicht so gesprächig wie sonst. Er musterte den jungen Briten durch seine dicken Brillengläser. Nach einigen Augenblicken sagte er wohlüberlegt und betont unverbindlich: »Wenn ich Sie wäre und vorhätte, an diesem Wochenende Berlin zu verlassen, dann würde ich es mir anders überlegen.« 13
    Dann tauchte der Ostdeutsche in der Menge unter.
    Kellett-Long erinnerte sich später: »Man konnte in einem kommunistischen Land kaum einen besseren Tipp bekommen, dass, was immer passieren mochte, es an diesem Wochenende eintreten würde.« 14
    Der britische Reporter sah die Nachrichtenmeldungen durch, entdeckte aber keine weiteren Hinweise. Der Sender Freies Berlin hatte am Morgen gemeldet, dass eine weitere Rekordzahl ostdeutscher Flüchtlinge in dem Notaufnahmelager Marienfelde eingetroffen sei. Im Scherz hatte Kellett-Long zu seiner Frau gesagt, dass Ostdeutschland nach seinen Berechnungen bis etwa 1980 völlig menschenleer wäre.
    Der staatliche Deutschlandsender in Ostberlin brachte an diesem Tag überhaupt keine Meldung zu Flüchtlingen — geschweige denn etwas anderes, das Kellett-Long weitergebracht hätte. Es kam ein Beitrag über den zweiten Menschen auf einer Umlaufbahn um die Erde, den sowjetischen Kosmonauten Gherman Titow, der den Globus innerhalb von 25 Stunden und 18 Minuten 17-mal umkreiste, ehe er sicher zur Erde zurückkehrte. Das sei eine beispiellose
Leistung in der

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