Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
keinen Fall einen Vorwand geben, die Freiheit Westberlins und Westdeutschlands zu bedrohen – eine Linie, die Moskau wohlweislich nicht überschritten hatte.
Während sich Brandt auf seine Rede vorbereitete, traf sich Adenauer in Bonn mit dem sowjetischen Botschafter in der Bundesrepublik, Andrej Smirnow. Er erklärte sich bereit, ein Kommuniqué zu unterzeichnen, das der Botschafter zu dem Treffen mitgebracht hatte und garantierte, »dass die Bundesregierung keine Schritte unternimmt, welche die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion erschweren oder die internationale Lage verschlechtern«. 14
Keine achtundvierzig Stunden nach der Grenzschließung hatte Adenauer erklärt, dass er, entgegen früheren Drohungen, die Handelsbeziehungen zur DDR nicht abbrechen werde. Selbst sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, sonst ein Hardliner, hatte zur Ruhe gemahnt. Falls es zu Schießereien kommen sollte, hatte er vor einer westdeutschen Menge gesagt, könne niemand sagen, mit welchen Waffen das enden werde. 15
Der britische Premierminister Macmillan, der Bündnispartner, der auf keinen Fall den russischen Bären provozieren wollte, hatte Adenauer dafür gelobt, dass er »mit einem heißen Herzen und kühlen Kopf« geantwortet habe. 16 Es sah ganz so aus, als würde Adenauer, nach seinen anfänglichen Bedenken wegen Kennedys Führung, nunmehr die Haltung des US-Präsidenten zur Mauer übernehmen.
Adenauers Reaktion war jedoch eher Resignation als Überzeugung. Er
hatte gesehen, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen hinsichtlich einer unentschlossenen Führung Kennedys bewahrheitet hatten. Heinrich Krone, der Fraktionsführer der CDU im Bundestag, schrieb in sein Tagebuch: »Der 13. August ist in der Bevölkerung der Tag der größten Ernüchterung und Enttäuschung. Bis dahin glaubte und traute man den Amerikanern blindlings.« Der Bau der Mauer mache zunichte, was Adenauer noch an Vertrauen gehabt haben mochte, die Mitgliedschaft im stärksten Bündnis der Welt könne absolute Sicherheit garantieren. 17
Außerdem dachte Adenauer langfristig. Westdeutschland blieb intakt und fest in der NATO verankert. Es hatte keinen Sinn, die Realität zu leugnen, dass sich Ostberlin nunmehr noch fester in kommunistischer Hand befand. Deshalb lautete sein vorrangiges Ziel: die Wahl am 17. September gewinnen und verhindern, dass sein Land den Sozialdemokraten in die Hände fiel.
Smirnow umschmeichelte Adenauer nach dem üblichen sowjetischen Muster, drohte ihm aber zugleich. Er betonte, wie konstruktiv Moskau mit Adenauer zusammengearbeitet habe, warnte ihn aber auch, dass sein Land so gut wie sicher zerstört würde, falls er die deutsche Rolle in den letzten beiden Weltkriegen vergessen und jetzt kriegerische Aktivitäten und einen Eskalationskurs anstreben sollte.
Bei seiner Unterredung mit Smirnow beschloss Adenauer, weder die Sowjets noch Chruschtschow selbst anzugreifen. Vielmehr bedankte er sich bei dem sowjetischen Regierungschef für die Grüße, erinnerte sich herzlich an seine letzte Begegnung mit ihm und sagte, dass er sich nun ganz auf die Bundestagswahl vom 17. September konzentrierte.
Erst an diesem Punkt erwähnte er Berlin. »Es handle sich seiner Ansicht nach hierbei um eine lästige und unangenehme Sache, die über das Nötige hinaus hochgespielt worden sei«, sagte er zu Smirnow. »Er wäre der sowjetischen Regierung dankbar, wenn sie da etwas mildern könnte. Er sei in großer Sorge über die Entwicklung in Berlin und in der Zone, und er habe ganz offen Angst, dass dort unter Umständen Blut fließen könnte.« Er fügte hinzu, er wäre der sowjetischen Regierung »sehr dankbar, wenn sie verhindern würde, dass dort etwas passiert«. 18
Wenn Adenauer eine eher zurückhaltende Position gegenüber den Sowjets einnahm, so galt für seinen politischen Gegner Willy Brandt genau das Gegenteil. Adenauer war sich darüber im Klaren, dass die Grenzschließung ihn Wählerstimmen kosten würde. Er wusste auch, dass immer mehr Deutsche sich fragten, ob der alte Mann noch fit genug für die Regierungsgeschäfte sei, und
dass Brandt die Sozialdemokratische Partei in die akzeptablere politische Mitte gerückt hatte. Adenauer hoffte, die Wähler würden all dies gegen die blühende westdeutsche Wirtschaft und die Stabilität aufwiegen, die er für sein Land innerhalb der westlichen Allianz erreicht hatte.
Keine achtundvierzig Stunden nachdem die Kommunisten die Grenze geschlossen hatten, trat
Weitere Kostenlose Bücher