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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Adenauer bei einer Wahlkampfveranstaltung in Regensburg auf, statt sich so schnell wie möglich nach Berlin zu begeben. Er sagte dem Publikum, dass er »nicht zur Verschärfung der Situation beitragen« wolle, indem er sich in Berlin ins Rampenlicht stelle. Statt die Kommunisten anzugreifen, entschied er sich für einen hinterhältigen Seitenhieb auf Brandt, indem er öffentlich immer wieder auf dessen uneheliche Herkunft anspielte. »Wenn einer mit der größten Rücksicht behandelt worden ist von seinen politischen Gegnern«, so Adenauer, »dann ist das der Herr Brandt alias Frahm.« Damit spielte er auf den Mädchennamen der unverheirateten Mutter an, den Brandt während seiner Zeit im Exil abgelegt hatte. 19
    Auf einer Wahlkampfrede am 29. August im westfälischen Hagen behauptete Adenauer vor seinen Anhängern sogar, Chruschtschow habe die Berliner Grenze nur deswegen geschlossen, um dem Sozialdemokraten Brandt bei der anstehenden Wahl zu helfen. Die deutsche Presse griff daraufhin Adenauer heftig an, weil er so boshaft über Brandt redete, aber unter den Wählern säte Adenauer tatsächlich Zweifel über seinen Widersacher.
    Brandt, der bislang eher zurückhaltend reagiert hatte, konnte das nicht auf sich sitzen lassen und urteilte ähnlich wie ein Biograf Adenauers: Der Alte habe nicht begriffen, was vorgefallen war, und nichts anderes als die nächsten Wahlen im Kopf. Er gab Adenauer den Rat, »einen friedlichen Lebensabend« anzustreben. Brandt rechnete sich aus, dass es die beste Strategie sei anzukündigen, dass er den Wahlkampf ganz aufgeben werde. »Für mich gibt es nur noch den Kampf um Berlin«, sagte er und erklärte in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, dass er seine Wahlkampfauftritte auf einen Tag in der Woche beschränken und sich ansonsten ganz auf »das deutsche Schicksal« konzentrieren werde. 20
    Willy Brandt wurde klar, dass der wohl wichtigste Faktor bei den Wählern sein Umgang mit den Amerikanern sein würde. Am Tag seiner Kundgebung brachte Bild , die meistgelesene Tageszeitung mit einer Auflage von 3,7 Millionen, in fetten Lettern über die ganze obere Hälfte der Titelseite eine Schlagzeile, die die Stimmung der Bevölkerung treffend wiedergab: DER OSTEN HANDELT — WAS TUT DER WESTEN? DER WESTEN TUT NICHTS!

    Die Redakteure druckten große Aufnahmen der drei alliierten Regierungschefs unter dem Artikel ab, dazu spöttische Bildlegenden: »US-Präsident Kennedy schweigt / Macmillan geht auf die Jagd / und Adenauer schimpft auf Brandt«.
    Im zugehörigen Leitartikel auf der Titelseite hieß es:
    Wir sind in das westliche Bündnis gegangen, weil wir geglaubt haben, das sei die beste Lösung für Deutschland wie für den Westen. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen ist auch heute noch davon überzeugt. Nur wird diese Überzeugung nicht gerade gestärkt, wenn einige unserer Partner in dem Augenblick, in dem die deutsche Sache in größter Gefahr ist, kühl erklären: »Alliierte Rechte sind nicht betroffen.«
    Die deutsche Sache ist in größter Gefahr … Berlin ist plötzlich kein Tor zur Freiheit mehr. Es ist seit drei Tagen zu … Und bisher ist nichts geschehen außer einem Papier-Protest der alliierten Kommandanten.
    Wir sind enttäuscht! 21
    Der sachlichere Berliner Tagesspiegel erfasste die Stimmung des Tages in einem überdimensionierten Comic mit vier Bildern, der so beliebt war, dass er in ganz Berlin von Hand zu Hand ging.
    Die Hauptperson auf jedem Bild mit der Überschrift DER WESTEN ist als ein alter, glatzköpfiger Amerikaner im dunklen Anzug mit Fliege und hoch erhobenem Zeigefinger dargestellt. Auf dem ersten Bild zuckt der Westen unter Stalins Knüppelhieben mit der Überschrift DEUTSCHLANDVISION. Er sagt lediglich: »Noch einmal, dann hole ich meinen großen Stock.« Das zweite Bild zeigt den Westen mit zwei Beulen, auf der zweiten steht UNGARN. Auf dem dritten Bild ist ein karikierter Ulbricht zu sehen, der mit einem Prügel mit der Schlagzeile SCHLIESSUNG DER INNERSTÄDTISCHEN GRENZE auf den Westen einschlägt. Das letzte Bild zeigt einen arg mitgenommenen Westen, wie er pathetisch allein steht, darunter der Kommentar: UND SO WEITER …
    Nachdem Brandt sich den Schweiß abgewischt hatte, sagte er den 250 000 Berlinern vor ihm, dass die Sowjets mit der Grenzschließung »ihrem Kettenhund Ulbricht ein Stück Leine gelassen« hätten mit seinem »Regime des Unrechts«. Er gab die Enttäuschung der Bevölkerung mit diesen Worten wieder, weil sie ihren

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