Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
an Außenminister Rusk zusammen, der bekanntermaßen einer seiner wichtigsten Gegner in Washington war. 25
Clay meinte darin, er stimme mit Rusks Ansicht überein, dass das Vorzeigen von Ausweisen an DDR-Grenzübergängen für sich genommen noch keine »sehr wichtige Angelegenheit« sei. Trotzdem bestand er darauf, dass die Vereinigten Staaten das unterbinden müssten. Er schrieb Rusk, indem er seine Botschaft an US-Präsident Kennedy wiederholte: »Meiner Meinung nach können wir es uns nicht leisten, dass man uns vor und ohne Verhandlungen eines unserer verbliebenen Rechte beraubt, da wir sonst in diese Verhandlungen nur noch mit den Rechten gehen würden, für deren Aufrechterhaltung wir notfalls auch Gewalt anwenden müssten.«
Aus diesem Grund »empfahl« er Rusk »dringend«, den russischen Botschafter zu sich zu bestellen und ihm mitzuteilen, dass die Vereinigten Staaten die neuen ostdeutschen Grenzbestimmungen ablehnten und deshalb keine Berlin-Gespräche mit den Russen aufnehmen würden, bis die DDR ihren Erlass zurückgenommen hätte. Dies werde die amerikanische Stellung in Berlin verbessern, Chruschtschows Bereitschaft zu Verhandlungen auf den Prüfstand stellen und die amerikanische Einstellung zu Berlin-Gesprächen den kompromissloseren Ansichten Frankreichs und der Bundesrepublik näherbringen.
Clay argumentierte gegenüber Rusk, dass es vielversprechender sei, den Grenzkonflikt sofort als diplomatisches Druckmittel zu verwenden, statt seine bewaffneten Eskorten fortzuführen. Ihm war nämlich durchaus bewusst, dass er es schließlich mit einer riesigen konventionellen Überlegenheit der Sowjets zu tun haben würde. Aus diesem Grund kündigte er auch an, dass er seine Machtproben am Checkpoint Charlie jetzt nach einem einzigen Tag wieder einstellen werde, damit Rusk den Weg der Diplomatie beschreiten könne, den Clay nach eigener Ansicht möglich gemacht hatte.
»Wir werden heute auf einen Test an der Friedrichstraße verzichten und Ihre Meinung zu diesen Empfehlungen erwarten«, schrieb er und fügte dann hinzu: »Spätestens morgen müssen wir jedoch unsere Sondierungsmissionen wieder aufnehmen.«
OVAL OFFICE, WEISSES HAUS, WASHINGTON, D.C.
DIENSTAG, 24. OKTOBER 1961
Die Mitarbeiter des Weißen Hauses hielten den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Wilhelm Grewe, für das unangenehmste Mitglied des Diplomatischen Corps. 26 Humorlos und herablassend hatte Grewe seine Verachtung für die sogenannten »New Frontiersmen« Kennedys so deutlich werden lassen, dass Adenauer selbst ihn dafür getadelt hatte.
Nach Botschafter Gavins gestrigem Fehlschlag, de Gaulle zur Zusammenarbeit zu bewegen, sah Kennedy dem Vormittagstreffen mit Grewe im Oval Office keinesfalls freudig entgegen. 27 Er war über die zunehmenden, offenbar aus undichten Regierungsstellen stammenden Berichte in der amerikanischen und europäischen Presse irritiert, dass die Franzosen und Deutschen seinem Wunsch nicht nachkommen würden, eine neue Runde von Berlin-Verhandlungen zu beginnen. Dies musste unbedingt aufhören.
Botschafter Grewe hielt sich gar nicht erst mit unverbindlichem Geplauder auf, sondern sprach sofort Adenauers Sorgen über Kennedys mangelndes Engagement für Westberlin und die deutsche Einigung an. Grewe hatte das trockene Gebaren eines Staatsanwalts. Immerhin war er einer der wichtigsten deutschen Völkerrechtler. Er hatte an den Verhandlungen zur Beendigung des westdeutschen Besatzungsstatuts teilgenommen und entscheidend zur Formulierung der sogenannten Hallstein-Doktrin beigetragen, die festlegte, dass die Bundesrepublik Deutschland mit keinem Land diplomatische Beziehungen aufnehmen oder aufrechterhalten würde, das die DDR anerkannte.
Grewe gab zu verstehen, dass Adenauer bereit sei, einen Krieg zu beginnen, um die Freiheit Berlins zu verteidigen. Um sich darauf vorzubereiten, erhöhe der Bundeskanzler bereits sein Rüstungsbudget und baue die Bundeswehr aus, noch während er seine neue Koalitionsregierung zusammenstelle. Trotzdem mache er sich über Kennedys Pläne einer konventionellen Aufrüstung in Europa Sorgen. Er sei der Meinung, dass »solche Operationen nur dann überzeugend seien, wenn wir bereit wären, ihnen nötigenfalls einen präventiven Atomschlag folgen zu lassen«.
Grewe meinte dann, die Deutschen hätten Angst, dass die größere Konzentration der Verbündeten auf konventionelle Truppen zu einer Lage führen könnte, in der das Fehlen einer klar definierten und glaubhaften
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