Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
eingehen wollte.
Clay würde nie erfahren, dass Kennedy der Showdown am Checkpoint Charlie so verunsicherte, dass er seinen Bruder beauftragte, die Krise mit dem sowjetischen Spion Georgij Bolschakow zu lösen, mit dem Bobby sich seit sechs Monaten regelmäßig traf. Zur selben Zeit nutzte der Präsident auch den traditionelleren Kanal über seinen Moskauer Botschafter Thompson, wie er es bereits vor dem Wiener Gipfel getan hatte.
Es war jedoch nicht dessen bisheriger Erfolg, der ihn zu einer Wiederbelebung des vertraulichen Kanals über Bolschakow bewegte. Tatsächlich hatten
ihn Bobbys Treffen mit dem sowjetischen Agenten vor Wien kaum auf Chruschtschows Überfalltaktik in der Berlin-Frage vorbereitet. In einem gefährlichen Augenblick wie diesem war Bolschakow jedoch die schnellste und direkteste Verbindung zum sowjetischen Ministerpräsidenten.
Bobby wusste inzwischen, wie man kurzfristig ein Treffen mit Bolschakow vereinbaren konnte, ohne von den Medien behelligt zu werden. James Symington, ein Verwaltungsassistent aus dem Büro des Justizministeriums, glaubte, dass die Sympathien seines Chefs für »Georgij« teilweise auf seine »Vorliebe für harmlose Narren« zurückzuführen seien. Sie trafen sich etwa alle vierzehn Tage. Dabei besprach Bobby mit ihm »die meisten wichtigeren Angelegenheiten, die das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten betrafen«. 40
Der Bruder des Präsidenten arrangierte die Treffen selbst. Später würde er bedauern, dass »ich leider – dummerweise – viele Sachen nicht aufgeschrieben habe. Ich habe die Botschaften meinem Bruder nur mündlich übermittelt, und er hat dann darauf reagiert. Manchmal hat er dem Außenministerium davon erzählt, manchmal nicht.« 41
Das erste Treffen zwischen Bobby Kennedy und Bolschakow über die Spannungen am Checkpoint Charlie erfolgte am 26. Oktober um 17:30 Uhr, also einen Tag, bevor die sowjetischen Panzer an dem Übergang auftauchten. Nach der Erinnerung des Präsidentenbruders fand die zweite und entscheidende Verhandlungsrunde am 27. Oktober um 23:30 Uhr Washingtoner Zeit statt. In Berlin war es da schon 5:30 Uhr am 28. Oktober. Am Übergang Friedrichstraße standen sich an diesem nasskalten Morgen immer noch die Panzer und Soldaten der beiden Seiten gegenüber.
Bobby Kennedy erinnerte sich später, er habe Bolschakow gesagt: »Die Lage in Berlin ist noch schwieriger geworden.« Er habe sich beschwert, dass Außenminister Gromyko an diesem Tag die Bemühungen von Botschafter Thompson zur Entschärfung der Lage zurückgewiesen hatte. »Unserer Meinung nach ist eine solche Einstellung nicht eben hilfreich in einer Zeit, wo gerade Anstrengungen unternommen werden, einen Weg zur Lösung dieses Problems zu finden«, sagte Kennedy. Er bat um eine »Periode relativer Mäßigung und Ruhe in den nächsten vier bis sechs Wochen«. 42
Nach seiner eigenen Erinnerung teilte er danach Bolschakow mit: »Der Präsident möchte, dass Sie Ihre Panzer binnen vierundzwanzig Stunden von dort entfernen.« 43 Genau das würde Chruschtschow dann tun. Bobby sagte später, dass ihr Gedankenaustausch über den Showdown am Checkpoint
Charlie bewiesen habe, dass Bolschakow »seine Rolle effektiv erfüllte, wenn es um eine wichtige Sache ging«.
Über die Einzelheiten der Übereinkunft gibt es keine Überlieferungen. Tatsächlich stellten jedoch die Vereinigten Staaten von nun an die militärischen Eskorten von Zivilisten ein, und Clay widersetzte sich nicht länger der DDR-Autorität an den Übergangsstellen. Alle Pläne Clays, Teile der Mauer niederzureißen, wanderten in die Ablage, und die Baggerschaufeln wurden von den Panzern abmontiert und wieder eingelagert.
Da sie jetzt mit keinem Widerstand mehr rechnen musste, konnte die DDR die Mauer erweitern und verstärken.
WASHINGTON, D.C.
FREITAG, 27. OKTOBER 1961, 22 UHR
Am Freitag, den 27. Oktober, schickte Außenminister Rusk spätabends ein Telegramm an die US-Mission in Berlin, das mitten im Rückzug den Sieg verkündete. 44 In der Depesche wurde festgehalten, dass die Entscheidung, die Berlin-Krise zu beenden, auf einer Sitzung getroffen worden sei, die um 17 Uhr im Weißen Haus stattgefunden habe und an der der US-Präsident, Rusk, McNamara, Bundy, Kohler und Hillenbrand teilgenommen hatten. Sie würde an die NATO und die US-Botschaften in den drei wichtigsten Hauptstädten der Alliierten gesandt werden. Als ob es den Beteiligten erst nachträglich eingefallen wäre, war
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