Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
zusammenarbeiten.
Auch sie sollen nach Berlin kommen.
Und es gibt auch einige wenige, die sagen, es treffe zwar zu,
dass der Kommunismus ein böses und ein schlechtes System sei,
aber er gestatte es ihnen, wirtschaftlichen Fortschritt zu erreichen.
Aber lasst auch sie nach Berlin kommen. […]
Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen,
sind Bürger dieser Stadt Westberlin,
und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können:
»Ich bin ein Berliner«.
US-PRÄSIDENT KENNEDY IN EINER REDE VOR BERLINERN, 26. JUNI 1963 2
BERLIN UND HAVANNA
MITTE AUGUST 1962
Ein Jahr nachdem sich Präsident John F. Kennedy mit dem Bau der Berliner Mauer abgefunden hatte, veranschaulichten zwei dramatische Ereignisse, die sich in einer Entfernung von achttausend Kilometern ereigneten, welche gravierenden Auswirkungen der wohl schwächste Auftritt eines US-Präsidenten in seinem ersten Amtsjahr hatte.
Die erste Szene spielte sich am 17. August in Berlin bei strahlendem Sonnenschein ab, nur wenige Minuten nach 14 Uhr: Der achtzehnjährige Maurer Peter Fechter und sein Freund Helmut Kulbeik begannen unvermutet ihren Spurt in die Freiheit quer durch den sogenannten Todesstreifen, das Niemandsland, das vor der Mauer lag. Der erste von fünfunddreißig Schüssen fiel, nachdem sich die beiden durch die vorderste Sperre aus Stacheldraht gekämpft hatten. Zwei Kugeln durchbohrten Fechters Rücken und Bauch, als er zusah, wie sein flinkerer Freund über Stacheldrahtstränge oben auf der Barriere in die Freiheit sprang. Fechter brach am Fuß der Mauer zusammen, wo er in gekrümmter Haltung, die Arme vor der Brust gefaltet, liegen blieb. Der linke Schuh war halb abgestreift, und der Knöchel war zu sehen. Fast eine Stunde lang schrie er mit schwächer werdender Stimme um Hilfe, während er aus vielen Schusswunden verblutete. 3
Um dieselbe Zeit, jenseits des Ozeans, hatten sowjetische Schiffe begonnen, heimlich an elf verschiedenen kubanischen Häfen die Anlagen einer sowjetischen Raketenstreitmacht von ausreichender Reichweite und Stärke an Land zu bringen, um New York City oder Washington, D.C., dem Erdboden gleichzumachen. Am 26. Juli hatte der sowjetische Frachter Marja Uljanowa, benannt nach Lenins Mutter, als erstes von 85 sowjetischen Schiffen in der Hafenstadt Cabañas angelegt, die in den folgenden neunzig Tagen 150 Fahrten machen sollten. Sie transportierten Streitkräfte sowie die Bauteile für 24 Mittelstrecken- und 16 Langstreckenabschussrampen, von denen jede einzelne mit einem nuklearen Sprengkopf und zwei ballistischen Raketen bestückt werden sollte. 4
Unterdessen verfolgten und fotografierten von der Westberliner Seite aus Polizisten und Nachrichtenreporter – auf Leitern, um besser über die Mauer zu sehen – das bittere Ende des Bauarbeiters Fechter. US-Soldaten im Kampfanzug standen ganz in der Nähe und hielten sich strikt an die Befehle, potenziellen Flüchtlingen keine Hilfe zu leisten, solange sie das DDR-Gebiet nicht
verlassen hatten. Eine wachsende Menge Westberliner protestierte aufgebracht und beschimpfte zum einen die Ostdeutschen als Mörder, zum anderen die Amerikaner als Feiglinge. Ein Leutnant der US-Militärpolizei sagte zu einem Zuschauer: »Das ist nicht mein Problem« – ein Ausdruck der Resignation, der am nächsten Tag in den Zeitungen Hauptthema war und unter empörten Westberlinern die Runde machte.
Bild 48
August 1962: Ein Jahr nach Schließung der Grenze wird der achtzehnjährige Peter Fechter von kommunistischen Grenzwachen in den Rücken geschossen und liegt über eine Stunde lang blutend am Fuß der Mauer, bis sein Leichnam endlich geborgen wird. Der Vorfall löst in Westberlin heftige Proteste aus.
Die DDR-Grenzwachen hatten ihrerseits gezögert, das sterbende Opfer zu bergen, weil sie grundlos befürchtet hatten, amerikanische Soldaten würden auf sie schießen. Erst nachdem Fechters Körper erschlafft war und die Grenzwachen einige Rauchbomben gezündet hatten, um ihr Vorgehen zu vernebeln, trug eine Grenzpatrouille den Leichnam weg. Ein Fotograf bannte dennoch ein Bild auf Zelluloid, das irgendwie an die Herabnahme Jesu vom Kreuz erinnerte. Das Foto, das am nächsten Tag auf der Titelseite der Berliner Morgenpost erschien, zeigte drei behelmte Polizisten, zwei davon mit Maschinenpistolen, die Fechter mit abgespreizten Armen und blutbefleckten Händen hochhielten.
Der Mord an Fechter löste in den Westberlinern etwas aus. Am nächsten Tag gingen Zehntausende
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