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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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auf die Straße und protestierten gegen die Ohnmacht der Amerikaner ebenso wütend wie gegen die Unmenschlichkeit der Kommunisten. Ihre aufgestaute Wut und Frustration entluden sich in dem »fast unglaublichen Schauspiel«, wie der Korrespondent der New York Times, Sydney Gruson, schrieb, dass Westberliner Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die eigene Bevölkerung vorging, um sie davon abzuhalten, die Mauer zu stürmen. Gruson weiter: »Mehr als jedes Einzelereignis seit dem Bau der Mauer hat Peter Fechters einsamer und grausamer Tod die Westberliner die Hilflosigkeit angesichts der schleichenden Übergriffe spüren lassen, die von den Kommunisten so subtil bewerkstelligt werden.« 5
    In Kuba hatte die CIA inzwischen durch Luftaufnahmen Mitte August einen verstärkten sowjetischen Schiffsverkehr festgestellt, was das Ausmaß der Lieferung wie auch die Sorgfalt bei der Ausführung betraf. Soldaten löschten die Ladung der Frachter des Nachts bei gedämpftem Licht und transportierten anschließend die Lieferungen über schmutzige Straßen in getarnten Fahrzeugen, die so lang waren, dass die Truppen einige Bauernhütten abreißen mussten, damit die Lastwagen um die Kurve kamen. Die befehlshabenden Offiziere hielten – wenn sie nicht gerade gegen die Moskitos, die Hitze oder den Monsun ankämpften – Moskau mit Kurieren über den Fortgang der Arbeiten auf dem Laufenden, damit die Funksprüche nicht von den Amerikanern abgefangen wurden. 6
    Am 22. August teilte die CIA dem Weißen Haus mit, dass fünftausend sowjetische Militärangehörige auf mehr als zwanzig Fahrzeugen mit großen Mengen an Transport-, Kommunikations- und Baumaterial nach Kuba gekommen waren. Analytiker der CIA erklärten, ein so schneller und so starker Zustrom sowjetischer Mitarbeiter und Bauteile in ein nicht sowjetisches Land sei »einzigartig in der sowjetischen Militärhilfe; hier sei eindeutig etwas Neuartiges und völlig anderes im Gang«. Die Raketen selbst sollten jedoch erst in zwei Monaten geliefert werden, und die amerikanischen Geheimdienste gelangten vorläufig zu dem Schluss, dass Moskau vermutlich Kubas Luftabwehr verstärke. 7
     
    Auf den ersten Blick mögen die öffentliche Tötung des jungen Maurers in Ostberlin und das heimliche Eintreffen sowjetischer Truppen und Raketenabschussrampen auf Kuba wenig miteinander zu tun haben. Aber zusammengenommen stehen die beiden Ereignisse symbolisch für die beiden wichtigsten Nachbeben der fehlgeleiteten Politik Kennedys im Jahr 1961 rings um Berlin:
    Das erste Nachbeben sollte langfristig Bestand haben: das Einfrieren der Spaltung Europas im Kalten Krieg für weitere drei Jahrzehnte mit all den Opfern, die das für die Menschen bedeutete. Der Bau der Mauer stoppte nicht nur den Zerfall Ostdeutschlands zu einer Zeit, als die Lebensfähigkeit des Landes angezweifelt wurde; er lieferte auch eine weitere Generation von zig Millionen Osteuropäern der autoritären Herrschaft nach sowjetischem Muster aus mit Einschränkungen für die individuelle und nationale Freiheit.
    Das zweite Nachbeben war unmittelbarer zu spüren: die Raketenkrise Ende 1962 verbunden mit der Gefahr eines Nuklearkriegs. Auch wenn die Historiker Kennedy für seine Führung in der Kuba-Krise lobten, hätte Chruschtschow es gar nicht erst gewagt, Atomwaffen nach Kuba zu schaffen, wenn er nicht 1961 im Zusammenhang mit Berlin zu dem Schluss gelangt wäre, dass Kennedy schwach und unentschlossen sei. 8
    Mittlerweile wissen wir, was Kennedy damals nicht ahnen konnte: dass die Berliner Mauer im November 1989 fallen, Deutschland und Berlin ein Jahr später, im Oktober 1990, wiedervereinigt werden und die Sowjetunion selbst Ende 1991 zerfallen sollte. In Anbetracht des glücklichen Ausgangs des Kalten Kriegs neigen die Historiker dazu, Kennedy ein größeres Verdienst daran zuzusprechen, als ihm eigentlich zusteht. Indem er das allzu große Risiko vermied, das mit einem Stopp des Mauerbaus verbunden gewesen wäre, so argumentieren sie, habe Kennedy einen Krieg verhindert und die Voraussetzungen für die spätere deutsche Wiedervereinigung, die Befreiung der im Sowjetblock gefangenen Nationen und die Ausdehnung des freien und demokratischen Europa geschaffen.
    Doch die historischen Quellen – im Licht neuer Beweise und einer sorgfältigeren Prüfung überlieferter Darstellungen und Dokumente – lassen ein so wohlwollendes Urteil nicht zu. Der zweimalige Nationale Sicherheitsberater Brent Scowcroft meinte völlig zu

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