Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
sowjetischen Führers bei dem Aufstand in Ungarn 1956. Wie Kennedy dem Kolumnisten James Reston sagte, nachdem der Parteichef ihn auf dem Wiener Gipfel abgekanzelt hatte: Chruschtschow ging vermutlich davon aus, wenn einer so jung und unerfahren sei, sich auf so eine Sache einzulassen, dann könne man ihn leicht packen. Und einer, der sich in so einen Schlamassel begibt und dann nicht durchhält, habe keinen Mumm in den Knochen. Also habe er ihm tüchtig die Hölle heißgemacht, sagte er Reston. Dem Präsidenten war klar, dass er jetzt ein Problem hatte.
Auf Chruschtschows Drohung in Wien, unilateral den Status Berlins bis zum Jahresende zu ändern, antwortete Kennedy mit schärferen Worten, höheren Rüstungsausgaben, einer erhöhten Kampfbereitschaft und einer Überprüfung der militärischen Eventualfallpläne, einschließlich des Plans für eine Antwort mit Kernwaffen. Aber er hinkte den Sowjets immer einen Schritt hinterher. Als DDR-Kräfte mit sowjetischer Rückendeckung am 13. August so bemerkenswert schnell und wirkungsvoll die Berliner Grenze schlossen, sah es
ganz so aus, als wären die USA und ihre Verbündeten auf dem falschen Fuß erwischt worden.
Zeitgenössische Schilderungen legen die Vermutung nahe, Kennedy sei völlig überrumpelt worden. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass Kennedy nicht nur eine vergleichbare Aktion der Sowjets im Voraus ahnte, sondern dass er auch half, das Drehbuch zu schreiben. Im privaten Kreis reagierte Kennedy eher erleichtert als empört und beschloss, weder die Sperrung der Grenze zu unterbinden, solange noch die Gelegenheit dazu bestand, noch seine kommunistischen Gegner mit Sanktionen zu strafen. Bekanntlich sagte er zu seinen Vertrauten: »Es ist keine besonders angenehme Lösung, aber eine Mauer ist verdammt viel besser als ein Krieg.«
Durchweg hatte er Chruschtschow die Botschaft vermittelt – in Wien direkt und danach indirekt über öffentliche Reden und über geheime Kanäle –, dass der sowjetische Ministerpräsident auf dem Territorium, das er kontrollierte, tun und lassen konnte, was er wollte, solange er nicht Hand an Westberlin oder an den Zugang zur Stadt legte.
Wie Kennedy dem wirtschaftlichen Berater des Weißen Hauses Walt Rostow einige Tage vor der Grenzschließung sagte: »Ostdeutschland gleitet Chruschtschow allmählich aus der Hand, und das kann er nicht zulassen. Wenn Ostdeutschland erst einmal weg ist, passiert das Gleiche mit Polen und ganz Osteuropa. Er muss etwas unternehmen, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Vielleicht baut er eine Mauer. Und wir werden nichts dagegen unternehmen können. Ich kann das Bündnis auf die Verteidigung Westberlins einschwören, aber ich kann nichts tun, um Ostberlin offen zu halten.«
Am 13. August konnten Chruschtschow und Ulbricht mit relativ großer Zuversicht handeln, dass Kennedy nicht eingreifen würde, solange sie sich an die Richtlinien hielten, die er selbst vorgegeben hatte. Vermutlich errichteten sie aus diesem Grund die Mauer in ihrer ganzen Länge nicht direkt auf der Grenze, sondern zur Sicherheit ein paar Meter zurückversetzt auf Ostberliner Territorium. Indem er den deutschen Traum von der Wiedervereinigung missachtete und bereit war, das bestehende europäische Kräftegleichgewicht zu akzeptieren, wurde Kennedy von der falschen Hoffnung getrieben, dass er die Aussichten auf fruchtbare Verhandlungen zu einer breiten Palette von Themen erhöhen würde, wenn er den Sowjets in Berlin eine größere Sicherheit gewährte. Stattdessen ermunterte, wie die Kuba-Krise zeigen sollte, Kennedys Untätigkeit in Berlin die Sowjets jedoch lediglich zu noch dreisteren Übergriffen.
Die Historiker haben sich lange Zeit gefragt, ob Kennedy womöglich noch deutlicher schon im Vorfeld seine Zustimmung zum Bau der Berliner Mauer signalisiert hatte. Falls tatsächlich eine entsprechende Botschaft vermittelt worden war, erfolgte sie höchstwahrscheinlich über die regelmäßigen Treffen zwischen Kennedys Bruder Robert und dem sowjetischen Mittelsmann Georgij Bolschakow, dem Agenten des sowjetischen Militärgeheimdienstes, der einen geheimen Draht zwischen Kennedy und Chruschtschow etabliert hatte. Bobby sollte sich später dafür entschuldigen, dass er diese Gespräche nicht dokumentiert hatte. Die vorliegenden Notizen Bolschakows enthalten keine Angaben über seine Gespräche mit Bobby unmittelbar vor oder nach der Grenzschließung, und die Geheimdienstarchive des Kremls, die möglicherweise
Weitere Kostenlose Bücher