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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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dürfen.«

    Wenn die Etablierung der Rahmenbedingungen für weitere drei Jahrzehnte Kalten Kriegs das langfristige Ergebnis der Berlin-Krise 1961 war, so war die Raketenkrise in Kuba das bedeutendste kurzfristige Nachbeben. In den Köpfen Kennedys und Chruschtschows war die Lage in Kuba untrennbar mit der in Berlin verknüpft.
    Kritiker bezeichneten Chruschtschows Plan, Atomraketen auf Kuba aufzustellen, als ein leichtfertiges Spiel mit dem Feuer, aber aus der Sicht des sowjetischen Ministerpräsidenten war es ein kalkuliertes Risiko, das sich auf das stützte, was er über Kennedy wusste. Ende 1961 sagte er einer Gruppe sowjetischer Funktionäre, er habe die Erfahrung gemacht, dass Kennedy so gut wie alles tun würde, um einen Atomkrieg zu vermeiden. »Ich bin mir sicher«, so Chruschtschow, »dass Kennedy keinen starken Rückhalt, geschweige denn den Mut hat, sich einer ernsten Herausforderung zu stellen.« 12 Hinsichtlich Kubas sagte er zu seinem Sohn Sergej, dass Kennedy wohl »einen Wirbel, oder auch ein bisschen mehr als einen Wirbel, veranstalten und dann klein beigeben würde«. 13
    Ungeachtet aller Rückschläge im ersten Amtsjahr war Kennedy weiterhin zu so großen Zugeständnissen an Chruschtschow bereit, um endlich in Berlin eine Einigung zu erzielen, dass ein amerikanischer Vorschlag vom April 1962 eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Bundeskanzler Konrad Adenauer zur Folge hatte. Das von Kennedy als »Grundsatzpapier« bezeichnete Dokument schlug die Gründung einer »Internationalen Zugangsbehörde« vor, der die Aufsicht über den Zugang nach Berlin von den vier Mächten übertragen werden sollte. Über dieses Gremium hätten die Sowjetunion und die DDR allerdings jederzeit auch den Zugang blockieren können. Im Gegenzug wollte Kennedy lediglich, dass der Kreml eine dauerhafte Militärpräsenz und die Rechte der Alliierten in Westberlin akzeptierte. 14
    Das Dokument übernahm direkt die sowjetische Wortwahl, sodass die Verfasser in einem Exemplar, das nach Moskau geschickt wurde, extra ganze Passagen unterstrichen hatten, um zu zeigen, was sie entlehnt hatten. Darüber hinaus war in dem Papier keine Rede davon, dass langfristig die deutsche Wiedervereinigung über freie Wahlen angestrebt werden müsse, was bislang ein nicht verhandelbarer Punkt in den Gesprächen mit Moskau gewesen war. Ein Vorschlag der US-Regierung hatte noch nie so stark den sowjetischen Positionen geglichen oder war umgekehrt noch nie so weit von Adenauers Haltung abgewichen. Zunächst ließ Kennedy dem Bundeskanzler lediglich eine Frist von einem Tag für die Antwort auf einen Entwurf. Nach heftigen Protesten aus der Bundesrepublik verlängerte er die Frist auf achtundvierzig Stunden.

    Adenauer konnte seine Verachtung für Kennedy nicht länger zurückhalten. Er protestierte bei Paul Nitze, dem stellvertretenden US-Verteidigungsminister, der ihm in Bonn einen Besuch abstattete, dass es in Westberlin, falls Kennedys Vorschlag umgesetzt werden sollte, nicht genügend Umzugslaster für alle Menschen gäbe, die aus der Stadt flüchten wollten. 15 Anschließend schickte er eine barsche Note an Kennedy ab, in der es hieß: »Ich habe gegen einige dieser Vorschläge erhebliche Bedenken, und ich bitte Sie, sehr verehrter Herr Präsident, dringend, zunächst eine Verhandlungspause einzulegen, die dazu benutzt werden kann, die Behandlung der Berlin-Frage gemeinsam mit den drei Mächten zu überdenken.« 16
    Das Durchsickern dieses Papiers, das Adenauer so gut wie sicher gebilligt hatte, erregte solchen Wirbel, dass Kommentatoren auf beiden Seiten des Atlantiks Kennedy für diesen Rückzieher angriffen, während seine Gegner weiterhin Flüchtlinge erschossen, alliierte Soldaten schikanierten und ihre Mauer verstärkten. Kennedy musste seinen Vorschlag zurückziehen. Das Schlimmste an dem Ganzen war: Der erstarkte Chruschtschow hätte Kennedys Grundsätze ohnehin abgelehnt, weil sie keinen vollständigen Abzug der US-Truppen vorsahen.
    Chruschtschow hatte sich höhere Ziele gesteckt.
    Noch während er die Kuba-Operation in die Wege leitete, am 5. Juli 1962, antwortete er mit dem bislang detailliertesten Vorschlag an Kennedy, um das »Besatzungsregime in Westberlin«, wie er es nannte, zu beenden. Nach seinem Plan sollten Blauhelmtruppen der Vereinten Nationen die alliierten Truppen ablösen. Die Polizei sollte nicht allein von den bestehenden drei Westmächten gestellt werden, sondern auch von neutralen Staaten und zwei Ländern des

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