Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Einflüssen aus dem westlichen Teil der Stadt.
Sein Forderungskatalog war ziemlich lang und befasste sich sowohl mit kleineren als auch mit größeren Angelegenheiten. Von Chruschtschow verlangte er die »Übergabe der Funktionen der noch bestehenden Vier- oder Drei-Mächte-Organe, z. B. der Flugleitzentrale, des Abrechnungsbüros für Post-und Fernmeldewesen […] an die zuständigen Organe der DDR«. Vor allem begehrte er die Kontrolle über den Luftverkehr zwischen der Bundesrepublik und Westberlin. Dies würde ihm die Möglichkeit verschaffen, die Linien- und Charterflüge zu unterbinden, die Zehntausende von Flüchtlingen zu ihren neuen Wohnorten und besser bezahlten Jobs nach Westdeutschland brachten.
Besäße Ulbricht erst einmal die Kontrolle über alle Zugangswege von und nach Westberlin, könnte er den Westteil der Stadt mit der Zeit abschnüren und verhindern, dass dieser auf Dauer ein freies, westliches Gemeinwesen blieb. Ulbricht wusste, dass er etwas Ähnliches wie Stalins gescheiterte Berlin-Blockade von 1948/49 vorschlug. Er konnte dabei jedoch auf Chruschtschows eigene Argumente verweisen, dass die Sowjets dieses Mal größere Erfolgschancen hätten, da Moskau die militärische Überlegenheit des Westens inzwischen wettgemacht habe. Außerdem sei Kennedy sicherlich ein weniger entschlossener Widersacher, als Truman es damals gewesen war.
In drei Fragen verlangte Ulbricht von Chruschtschow sofortige Entschlüsse, die er dann auch öffentlich verkünden solle.
Der Schwanz wedelte hier also offensichtlich mit dem Bären.
Zuerst wollte er vom sowjetischen Regierungschef eine Erklärung, dass Moskau die sowjetische Wirtschaftshilfe für die DDR aufstocken werde. Dies werde dem Westen zeigen, dass wirtschaftliche »Störmanöver« keinen Erfolg haben würden. Zweitens solle Chruschtschow für April einen DDR-Sowjetunion-Gipfel ankündigen. Dies würde den Rang seines Landes bei eventuellen Verhandlungen mit dem Westen steigern. Schließlich verlangte er, dass der sowjetische Führer einen Gipfel des Warschauer Pakts einberufe, auf dem die Länder des sozialistischen Lagers zu größeren militärischen und wirtschaftlichen Unterstützungsleistungen gegenüber der DDR bewegt werden sollten. Bisher, beklagte sich Ulbricht, hätten diese nur dabeigestanden, ohne sein Land zu unterstützen. Zwar würden sie in ihren Zeitungen über diese Probleme berichten, aber sie fühlten sich davon im Wesentlichen unberührt.
Schließlich erinnerte Ulbricht Chruschtschow daran, dass es gerade die Sowjets gewesen waren, die Ostdeutschland einen solch schlechten Neubeginn nach dem Krieg eingebrockt hatten, während sie jetzt von ihm erwarteten, dass er von dieser Ausgangslage aus die globalen Interessen des Kremls befördere. »Wir sind nun einmal ein Staat, der geschaffen wurde, ohne dass eine Rohstoffgrundlage bestand und besteht, und der bei offenen Grenzen den Wettkampf zwischen den beiden Systemen führt«, belehrte Ulbricht Chruschtschow.
Danach wies er ihn in einer längeren Ausführung noch einmal darauf hin, dass Ostdeutschland in den ersten zehn Nachkriegsjahren der Sowjetunion »Wiedergutmachung leistete durch Entnahme aus den bestehenden Anlagen und der laufenden Produktion«, während Westdeutschland »von den USA größere Kredite erhielt, um das monopolkapitalistische System und den deutschen Militarismus zu retten«. Er bezog sich dabei natürlich auf den Marshall-Plan.
Bild 54
Oben:
Ein im Krieg beschädigtes Geschäft am Alexanderplatz steht in starkem Kontrast zu dem Propagandaspruch an dem Gebäude im Hintergrund: »Je stärker die DDR — desto sicherer der Frieden in Deutschland!«
Unten:
Geschichten aus einer geteilten Stadt: Ostberlin. Drei ältere Frauen schauen aus Mietshäusern, die immer noch die Spuren der Straßenkämpfe des Zweiten Weltkriegs zeigen.
Bild 55
Oben:
Modisch gekleidete Westberlinerinnen vor dem berühmtesten Kaffeehaus des Ku’damms, dem Café Kranzler.
eteilten Stadt: Westberlin. Nachtleben auf dem Kurfürstendamm.
Ulbricht räumte ein, dass diese Reparationen damals sogar notwendig gewesen seien, »um wenigstens einen Teil der Schäden, die die Sowjetunion erlitten hat, zu mindern und die Sowjetunion als Zentrum des sozialistischen Lagers zu stärken«.Jetzt sollte Chruschtschow jedoch nach Ulbrichts Ansicht anerkennen, wie sehr diese Maßnahmen der DDR in ihrem Wettbewerb mit Westdeutschland geschadet hätten. So seien vom Kriegsende bis 1954 die
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