Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
vorbereiten. Berlin ist von höchster Bedeutung. Aus diesem Grund forcieren die Sowjets das Thema. Wenn der Westen diesen Test nicht besteht, dann wird Deutschland von der Allianz abgespalten werden.«
Der Präsident unterbrach Achesons Vortrag mit keinem Wort, und deshalb wagte es auch kein anderer. Acheson erklärte, Verhandlungen und andere nicht militärische Mittel, welche die Briten, wie alle Anwesenden wohl wüssten, vorziehen würden, seien unzureichend. Man müsse eine militärische Antwort ermöglichen, sagte Acheson, aber wie solle sie aussehen und unter welchen Bedingungen?
Macmillan und Lord Home verbargen ihre Bestürzung. Sie kamen direkt aus Paris, wo sie mit anhören mussten, wie sich de Gaulle – der bereits versuchte, Adenauer für eine gaullistische Vision eines Europas ohne die Briten zu gewinnen – ebenfalls vehement gegen Berlin-Gespräche mit den Sowjets ausgesprochen hatte. Die Briten wollten Kennedy nicht auf dieser Seite wissen.
Im Alter von siebenundsechzig Jahren war Macmillan zunehmend zu der Ansicht gelangt, dass ein Großteil der Ansprüche Londons in der Welt von seiner Fähigkeit abhing, Washington zu beeinflussen. Das hing wiederum davon ab, wie er mit dem neuen US-Präsidenten zurechtkam. Als begeisterter Amateurhistoriker hatte Macmillan erkannt, dass die Amerikaner so etwas wie »das neue Römische Reich« repräsentierten, »und wir Briten mussten, ähnlich wie die Griechen der Antike, ihnen jetzt beibringen, wie das funktioniert. […] Wir können allenfalls hoffen, sie zu zivilisieren und gelegentlich zu beeinflussen. « 36 Aber wie wollte er Kennedys Zustimmung erhalten, das Rom zu Macmillans Griechenland zu spielen?
Nach Premierminister Anthony Edens politischem Absturz im Zuge der Suez-Krise hatte sein Nachfolger Harold Macmillan ganz auf den Wiederaufbau einer »Sonderbeziehung« zu den Vereinigten Staaten gesetzt, nämlich über seine Freundschaft zu Präsident Eisenhower, die er im Zweiten Weltkrieg geknüpft hatte. Macmillan hatte die maßgebliche Rolle eines »ehrlichen Maklers« gespielt, als es darum ging, Präsident Eisenhower zu Gesprächen mit Chruschtschow über Berlins Zukunft zu überreden, und er hatte das Scheitern des Pariser Gipfels als persönliche Niederlage empfunden. Er hatte Chruschtschow vergeblich angefleht, die Gespräche nicht abzubrechen.
Vor diesem Hintergrund hatte Macmillan so viele Informationen über Kennedy gesammelt, wie er beschaffen konnte, damit er einen Zugang zu dem Mann fand, der vierundzwanzig Jahre jünger als er war. Macmillan hatte seinem Freund Henry Brandon, einem Kolumnisten, sein Leid geklagt, dass es ihm nie gelingen werde, noch einmal eine so einzigartige Beziehung aufzubauen wie die, die ihn mit Eisenhower verbunden hatte, einem Mann derselben Generation, mit dem er die grausamen Kriegserlebnisse geteilt hatte. »Und jetzt sitzt dort dieser großspurige, junge Ire«, hatte er gesagt. 37
Eisenhowers Botschafter in London, John Hay »Jock« Whitney, hatte Macmillan gewarnt, dass Kennedy »eigensinnig, empfindlich, skrupellos und äußerst triebhaft« sei. 38 Ihre Unterschiede im Benehmen sollten jedoch erst etliche Monate später zutage treten, als Kennedy den monogam lebenden, puritanischen Schotten mit der impertinenten Frage schockierte: »Ich frage mich, wie das bei
Ihnen ist, Harold? Wenn ich drei Tage lang keine Frau hatte, dann bekomme ich furchtbare Kopfschmerzen.« 39
Weit stärker als der Alters- und Charakterunterschied zu Kennedy beunruhigte Macmillan jedoch, dass der Präsident womöglich allzu sehr von seinem antikommunistischen, isolationistischen Vater beeinflusst sein könnte. Der wohl unbeliebteste US-Botschafter am Hof von St. James, Joseph Kennedy, hatte einst Präsident Roosevelt gewarnt, die amerikanische Unterstützung für Großbritannien gegen Hitler nicht zu übertreiben, damit sie nicht »in einem Krieg die Sache ausbaden mussten, in dem die Alliierten davon ausgehen müssen, dass sie geschlagen werden«. Folglich war Macmillan erleichtert, als seine Nachforschungen ergaben, dass der interventionistische Churchill Kennedys Held war – zumindest das hatten sie gemeinsam. 40
Um Kennedys Denkweise zu beeinflussen, hatte Macmillan in der Übergangsphase einen Brief an den gewählten Präsidenten geschrieben, der ein »Grand Design« für die Zukunft vorschlug. 41 Während Macmillan seine Beziehung zu Eisenhower auf ihre gemeinsamen Kriegserinnerungen gegründet hatte, hatte er am Tag der
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