Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
man sie im Notfall nach Berlin verlegen könne. 31
Verteidigungsminister McNamara billigte Achesons Denkschrift. Kennedy nahm sie immerhin so ernst, dass er auf ihrer Basis eine erneute Prüfung durch das Pentagon anordnete, wie man eine künftige Berlin-Blockade brechen könne. Acheson wusste jedoch, dass eine wichtige Gruppe seine Ansichten ablehnen würde: die Bündnispartner Amerikas. Die Franzosen und Deutschen
würden gegen jede Verwässerung der atomaren Abschreckung plädieren, von der sie glaubten, sie reiche völlig aus, um ein langfristiges Engagement der Vereinigten Staaten für ihre Verteidigung zu gewährleisten. Und die Briten wollten verstärkt Verhandlungen mit den Sowjets – ein Kurs, den Acheson ablehnte. Da sich die Alliierten nicht einmal untereinander einigen konnten, wie man am besten Berlin verteidigen müsse, lautete Achesons Rat an Kennedy, unilateral seinen Kurs zu wählen und die Alliierten vor vollendete Tatsachen zu stellen. 32
Im Vorfeld des Treffens mit Macmillan ließ Bundy noch schnell Kennedy das, wie er sagte, »erstklassige« Memorandum seines Freunds Acheson zukommen. Er riet Kennedy, dass er seinen britischen Gästen, die in der Berlin-Frage bekanntlich »weich« waren, klarmachen müsse, dass er entschlossen war, standhaft zu bleiben. 33 Rusk wiederholte Achesons Worte, dass die Berlin-Gespräche in der Vergangenheit gescheitert seien und dass kein Anlass zu der Ansicht bestehe, dass sie derzeit größere Erfolgsaussichten hätten.
Fast über Nacht hatte Acheson die Initiative zur Berlin-Frage übernommen, indem er ein Vakuum in der Administration ausfüllte. Unter Berufung auf die Denkschrift riet der Nationale Sicherheitsberater Bundy dem US-Präsidenten, sich höflich alle Pläne anzuhören, die London vorbringen mochte, »aber im Gegenzug sollten wir energisch darauf drängen, die Zusage zu bekommen, dass die Briten im Augenblick der Wahrheit standhaft bleiben werden«.
OVAL OFFICE, WEISSES HAUS, WASH I NGTON, D.C.
MITTWOCH, 5. APRIL 1961
Der britische Premierminister Macmillan war bestürzt, als Kennedy Acheson zunickte und ihn aufforderte zu erklären, warum er mit Blick auf die Sowjets und Berlin glaube, dass ein Konfrontationskurs mit höherer Wahrscheinlichkeit letztlich zu einer akzeptablen Kompromisslösung führen werde. 34 Der Präsident war von seinem nationalen Sicherheitsteam sowie David Bruce, dem US-Botschafter in London, umgeben. Macmillan hatte unter anderen den britischen Außenminister Alec Douglas-Home, mitgebracht. Aber die Köpfe aller Anwesenden wandten sich Acheson zu, und einer der schillerndsten Selbstdarsteller auf der diplomatischen Bühne gab eine Vorstellung, die die Briten tief beunruhigte.
Kennedy sagte mit keinem Wort, ob er Achesons harte Linie teilte, allerdings musste Macmillan davon ausgehen. Acheson leitete die Diskussion mit der Erklärung ein, dass er bei seinen Studien zu Berlin noch keine endgültigen Schlussfolgerungen gezogen habe, führte aber anschließend genau das aus, was er bereits beschlossen hatte. Kennedy hörte schweigend zu.
Macmillan und Acheson waren fast gleich alt. Achesons Kleidung, sein manieriertes Auftreten und die anglokanadische Herkunft hätten eine kulturelle Gemeinsamkeit vermuten lassen. Doch die beiden Männer hätten in ihrer Einschätzung, wie man mit den Sowjets umgehen musste, nicht weiter auseinanderliegen können. 35 Macmillan hatte seine Begeisterung für eben jene Gespräche mit Moskau auf höchster Ebene noch nicht verloren, die laut Acheson kaum etwas genutzt hatten. Diese Haltung reichte bis zu einer Sitzung des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen von 1947 zurück, als Acheson erklärt hatte: »Ich halte es für einen Fehler zu glauben, dass man sich jemals mit den Russen an einen Tisch setzen und Fragen lösen kann.«
Er zählte seine »Semi-Prämissen«, wie er es nannte, auf:
Eine befriedigende Lösung des Berlin-Problems, getrennt von einer umfassenderen Lösung der Teilung Deutschlands insgesamt, gibt es nicht.
Und es hat nicht den Anschein, dass eine solche Lösung in absehbarer Zeit erreicht wird.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass die Sowjetunion die Berlin-Frage in Laufe des Jahres verschärfen wird.
Derzeit lässt sich keine Verhandlungslösung vorstellen, die den Westen in eine günstigere Position bezüglich Berlins als die jetzige bringt.
»Somit müssen wir uns«, sagte Acheson, »dem Thema stellen und uns jetzt auf alle Eventualitäten
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