Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Nachrichtenkanal einrichten durfte, den man sich nur vorstellen konnte. Bei den Treffen mit Robert Kennedy setzte sich Bolschakow mit einem Mann in Verbindung, der zugleich der Bruder des Präsidenten, sein engster Vertrauter und Justizminister war und in dieser Funktion sämtliche Spionageabwehraktivitäten des FBI überwachte.
Das nötige Selbstvertrauen, eine Mission auf so hoher Ebene zu übernehmen, schöpfte Bolschakow aus der Sanktionierung durch den Parteichef persönlich über seinen Schwiegersohn Alexej Adschubej, den Chefredakteur
der Zeitung Iswestija und ein Freund Bolschakows. Adschubej hatte Chruschtschow seinen Freund als einen Mann empfohlen, der ihn beraten konnte, als der Parteichef im Jahr 1959 seine erste Amerika-Reise plante. (Noch kurz davor hatte Bolschakow loyal Marschall Georgij Schukow gedient, dem hochdekorierten Kriegshelden und Verteidigungsminister, den Chruschtschow ausgemustert hatte.) 10
Es folgte die Versetzung Bolschakows in die Vereinigten Staaten, getarnt als Nachrichtenoffizier der Botschaft und Chefredakteur der englischsprachigen Propagandazeitschrift USSR. Das war Bolschakows zweiter Aufenthalt in Washington, nach dem ersten von 1951 bis 1955 in der Tarnung eines Korrespondenten der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS.
Für einen Mantel-und-Degen-Akteur war Bolschakow in Washington außergewöhnlich gefragt als Lieblingssowjetbürger der High Society. Er war ein kontaktfreudiger, trinkfester Lebemann mit einem schwarzen Haarschopf, stechenden blauen Augen und charmantem russischem Akzent. Zu seinen Freunden und Bekannten zählten etliche Insider aus Kennedys engerem Kreis: Ben Bradlee, Chefredakteur der Washington Post, der Reporter Charles Bartlett, der den Präsidenten mit seiner Frau Jacqueline bekannt gemacht hatte, Kenny O’Donnell, der Stabschef des Präsidenten, sein Sonderberater Ted Sorensen und sein Pressesprecher Pierre Salinger.
Der allerwichtigste Kanal Bolschakows zu Kennedy war jedoch Frank Holeman gewesen, ein Washingtoner Journalist, der einst Nixon nahegestanden hatte und jetzt versuchte, sich bei der Kennedy-Administration einzuschmeicheln. Der Zwei-Meter-Mann mit Südstaatenakzent, Bassstimme und unverzichtbarer Fliege und Zigarre wurde von Kollegen »der Colonel« genannt. Obwohl er erst vierzig war, gehörte er gewissermaßen zum festen Washingtoner Inventar, nachdem er den Präsidenten Roosevelt, Truman, Eisenhower und jetzt Kennedy gedient hatte. Er wusste genau, dass in Washington alles über Kontakte lief, und er hatte überall seine Leute. 11
Bolschakow hatte Holeman seit ihrer Begegnung im Jahr 1951 bei einem Bankett an der sowjetischen Botschaft zu Ehren des amerikanischen Korrespondenten als einen unbezahlten Informanten behandelt. Holeman hatte sich beim Kreml lieb Kind gemacht, indem er einen Versuch des National Press Club blockierte, sowjetische Journalisten von der Mitgliedschaft auszuschließen, der als Reaktion auf die Verhaftung des gesamten Büros von Associated Press in Prag erfolgt war. Später erklärte Holeman diesen Schritt mit dem Scherz, dass der Club ein Ort sein solle, an dem alle Parteien »ihre Lügen austauschen«
könnten. Anschließend setzte er sich noch stärker für die Sowjets ein, indem er einem neuen sowjetischen Pressemitarbeiter die Mitgliedschaft verschaffte, einem Menschen, der aller Wahrscheinlichkeit nach ein Spion war. 12
Als Bolschakow 1955 nach Moskau zurückkehrte, gab er den Kontakt zu Holeman an seinen GRU-Nachfolger Jurij Gwosdew ab, der als Kulturattaché getarnt war. Gwosdew hatte über Holeman, der sich selbst einmal die sowjetische »Brieftaube« nannte, eine wichtige Botschaft weitergeleitet: nämlich dass die Eisenhower-Administration auf Chruschtschows Berlin-Ultimatum vom November 1958 nicht überreagieren solle, weil Chruschtschow wegen Berlin niemals einen Krieg riskieren würde. Über Holeman trug Gwosdew auch dazu bei, das Fundament für Nixons anschließenden Besuch in der Sowjetunion zu legen, indem er die Bedingungen aushandelte. 13
Im Jahr 1959 löste Bolschakow dann Gwosdew ab und nahm wiederum selbst Kontakt zu Holeman auf. Die beiden schlossen eine so enge Freundschaft, dass sie häufig auch gemeinsam mit ihren Familien etwas unternahmen. 14 Wie der Zufall es wollte, war Holeman seit einigen Jahren ein guter Freund von Ed Guthman, dem Pressesprecher des neuen Justizministers, dem er die interessantesten Aspekte seiner Gespräche mit Bolschakow anvertraute. Guthman hatte
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