Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
sowjetische Unterhändler im Laos-Konflikt mit britischen Vertretern auf eine Formel, um die drohende Krise zu entschärfen. Das Ergebnis sollte eine Vierzehn-Nationen-Konferenz zu Laos in Genf sein, mit dem Ziel, die Feindseligkeiten zu beenden und ein neutrales Laos zu schaffen. 21
Am selben Tag hielt Chruschtschow in Tiflis, in der Sowjetrepublik Georgien, eine Rede, die hohe Vertreter des State Department als die gemäßigtste sowjetische Stellungnahme zu den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen seit dem U-2-Zwischenfall im vergangenen Mai werteten. Mit ähnlichen Floskeln, die der Parteichef schon bei der Annahme der Einladung Kennedys verwendet hatte, erklärte er: »Obwohl Präsident Kennedy und ich Menschen von verschiedenen Polen sind, leben wir auf derselben Erde. Wir müssen in bestimmten Fragen eine gemeinsame Sprache finden.« 22
An diesem Tag schickte Chruschtschow auch einen Brief an John F. Kennedy, in dem er die fast zwei Monate alte Einladung annahm, ein Gipfeltreffen zu veranstalten. In seinem Brief erwähnte er mit keinem Wort ein Atomtestverbot, streifte allerdings Themen wie Laos, wo sie möglicherweise Fortschritte erzielen könnten. Aber Chruschtschow war nicht bereit, Berlin auszuklammern. Er sagte, er strebe keineswegs unilateral einen Vorteil in der geteilten Stadt an, sondern wolle mithilfe des Treffens einen »gefährlichen Konfliktherd in Europa« beseitigen. 23
Jetzt war Kennedy am Zug.
WASHINGTON, D.C.
SONNTAG, 14. MAI 1961
Da der US-Präsident nicht den Eindruck erwecken wollte, er habe es eilig, ließ er sich mit der Antwort zwei Tage Zeit. Er bedauerte es, dass Chruschtschow den Atomteststopp nicht angesprochen hatte und darauf beharrte, über Berlin
zu sprechen. Der Brief des Parteichefs wich weit von den Bedingungen Kennedys ab, die Robert Kennedy Bolschakow mitgeteilt hatte. Bei allen Risiken sah Kennedy dennoch keine andere Möglichkeit, als dem Treffen zuzustimmen.
Chruschtschows Rede in Tiflis und seine Gesten zum Laos-Konflikt waren zumindest ermutigend. Da aber eines der möglicherweise entscheidenden Treffen seit dem Zweiten Weltkrieg bereits in knapp einem Monat stattfinden würde, blieb beiden Seiten kaum noch Zeit, um eine Einigung über das zu erzielen, was Diplomaten die »Wunschziele« des Gipfels nannten. Alte Hasen werteten die Eile des Präsidenten als ruhelos und naiv.
John F. Kennedy schickte seinen engsten Verbündeten Telegramme und informierte sie über das bevorstehende Gipfeltreffen, weil er wusste, dass insbesondere die Deutschen und die Franzosen seinen Plan überaus skeptisch beurteilten. Dem misstrauischen Adenauer schrieb er: »Ich nehme an, Sie teilen meine Meinung, dass ein solches Treffen in der gegenwärtigen internationalen Lage hilfreich wäre, weil ich Chruschtschow noch nicht persönlich kennen gelernt habe. Wenn das Treffen tatsächlich stattfindet, werde ich Sie über den Inhalt der Gespräche mit Chruschtschow informieren, die, wie ich vermute, eher allgemein sein werden.« 24
Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, weil alle wussten, dass es ein historisches Treffen sein würde – der erste derartige Gipfel des Fernsehzeitalters. Trotz der Anstrengungen Kennedys, das Thema Berlin zu meiden, hatte sich sein außenpolitisches Team inzwischen damit abgefunden, dass eben diese Frage das erste Amtsjahr des Präsidenten weit stärker prägen würde als Kuba, Laos, das Verbot von Kernwaffentests oder irgendein anderes Thema.
Am 17. Mai formulierte Henry Owen, ein Mitglied des politischen Planungsstabs im US-Außenministerium, den wachsenden Konsens der US-Regierung: »Von allen Problemen, mit denen die Regierung konfrontiert ist, scheint mir Berlin das unheilvollste.« 25 Er schlug vor, im Haushaltsjahr 1963 mehr Geld in das Budget für konventionelle Waffen und die Verteidigung Europas einzustellen, »um unsere Fähigkeit zu steigern, mit einer Berlin-Krise fertigzuwerden – und sie so womöglich abzuwenden«. 26
Zwei Tage später, am 19. Mai, gab die Kennedy-Administration offiziell bekannt, was die Zeitungen schon seit Tagen meldeten: Der US-Präsident wird sich am 3./4. Juni in Wien mit Chruschtschow treffen.
Westeuropäische und amerikanische Kommentatoren fürchteten, dass ein geschwächter Präsident mit einem gewissen Handikap nach Wien fahre. 27 Die
Wochenzeitung Die Zeit verglich Kennedy mit einem »Kaufmann, dessen Firma in Schwierigkeiten geraten ist und der nun mit der Konkurrenz verhandeln soll«. 28 In einem
Weitere Kostenlose Bücher