Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Problem, weil sich die Sowjets entschieden hatten, es zu einem zu machen. Sie hätten dafür mehrere Gründe: Sie wollten Berlin neutralisieren, um es später dann voll übernehmen zu können; sie wollten die NATO schwächen oder auflösen; und sie hofften, die Vereinigten Staaten zu diskreditieren. Er fasste das in der Aussage zusammen: »Die wirklichen Themen sollten ganz andere sein: Chruschtschow
ist ein Täuscher und ein Kriegstreiber. Diese Botschaften sollten wir unmissverständlich rüberbringen.« 21
Achesons Ziel war es also, Chruschtschows Denken zu ändern und ihn davon zu überzeugen, dass Kennedys Antwort auf jede Herausforderung in Berlin so massiv ausfallen würde, dass der Sowjetführer das Risiko dann lieber nicht eingehen werde. Er wollte, dass der US-Präsident den nationalen Notstand erklärte und die konventionellen und nuklearen Streitkräfte möglichst schnell verstärkte. Die US-Truppen in Deutschland außerhalb von Berlin sollten sofort um drei auf insgesamt sechs Divisionen aufgestockt werden. Die zugrundeliegende Botschaft lautete: Wenn jemand in der Berlin-Frage einen Rückzieher machte, dann sollten das die Sowjets sein.
Achesons Bericht nannte dann drei »Essentials«, lebenswichtige Interessen, deren Verletzung eine militärische Antwort der Vereinigten Staaten auslösen müsse. 22 Die Sowjets dürften die westlichen Garnisonen in Berlin nicht bedrohen, den Luft- und Landzugang in die Stadt nicht unterbrechen und die Lebensfähigkeit Westberlins und dessen Zugehörigkeit zur freien Welt nicht gefährden. Nach Ansicht Achesons sollte jede Unterbrechung der Zugangswege durch eine Luftbrücke wie im Jahr 1948 beantwortet werden. Wenn die Sowjets die Luftbrücke dieses Mal aufgrund ihres gewachsenen militärischen Potenzials und Berlins gestiegenem Versorgungsbedarf effektiver blockieren würden, sollte Kennedy zwei Panzerdivisionen über die Autobahn nach West-berlin vorrücken lassen.
Acheson hatte seinen Fehdehandschuh in den Ring geworfen, aber Kennedy war noch nicht bereit, ihn aufzuheben. Der Präsident sprach während der gesamten Sitzung kaum ein Wort.
Er bezweifelte, dass das amerikanische Volk zu einem solch gewagten Kurs bereit war, wie Acheson ihn hier vorschlug. Die Verbündeten würden es noch viel weniger sein. De Gaulle hatte gerade in Algerien genug zu tun, und Macmillan hatte nichts für irgendwelche Truppen übrig, die die Autobahn entlangstürmten, wie Kennedy sehr wohl wusste.
Thompson war der Erste, der Argumente gegen diesen Plan vorbrachte. Im Gegensatz zu Acheson glaubte er nicht, dass Chruschtschow in Berlin die Vereinigten Staaten demütigen wolle. Vielmehr wolle er seine osteuropäische Flanke stabilisieren. Aus diesem Grund sprach sich der US-Botschafter in Moskau auch dafür aus, notwendige Aufrüstungsmaßnahmen nicht an die große Glocke zu hängen und sie nach den westdeutschen Bundestagswahlen im September durch eine diplomatische Initiative zu begleiten, die baldige Berlin-Verhandlungen
vorsah. Thompson argumentierte weiter, dass die Ausrufung des nationalen Notstands die Vereinigten Staaten »hysterisch« aussehen ließe und Chruschtschow zu übereilten Gegenmaßnahmen verleiten könnte, die er sonst vermeiden würde. 23
Der Stabschef der US-Marine, Admiral Arleigh Burke, wandte sich ebenfalls gegen Achesons Plan. 24 Der alte Haudegen sprach sich gegen den Umfang des militärischen »Tests« aus, wie Acheson den Versuch genannt hatte, den Zugang nach Berlin durch den Einsatz ganzer Divisionen zu erzwingen. Auch eine Luftbrücke lehnte er ab. Burke hatte ja erst vor kurzem Kennedys Zögern miterleben müssen, in Kuba die nötigen militärischen Unterstützungskräfte zur Verfügung zu stellen, und wollte jetzt auf keinen Fall für Achesons Berliner Schlachtplan den Kopf hinhalten.
Kennedy sah, wie sich seine Regierungsmitglieder und Berater in zwei Lager aufteilten. Auf der einen Seite standen die »Hardliner«, die Befürworter eines harten Berlin-Kurses, auf der anderen die Vertreter einer »weichen« Linie, die die Falken im Raum abfällig die »SLOBs« getauft hatten. Dies war die Abkürzung für »Soft Liners on Berlin«, »Weicheier in der Berlin-Frage«. Zu den Hardlinern zählten Acheson, der Staatssekretär für europäische Angelegenheiten im Außenministerium Foy Kohler, die ganze Deutschland-Abteilung im State Department, der Staatssekretär für internationale Angelegenheiten im Verteidigungsministerium Paul Nitze und meist auch die
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