Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Männer umgeworfen wurde. Der Fall war so unglücklich, daß ich Lebzeiten ein Krüppel bin und nie wieder gehen kann. Ich beziehe keine Rente oder sonstige Unterstützung. Johann Kirbach.«
In dem Lokal, wo Franz Biberkopf an diesen schönen Tagen herumspioniert, denn er sucht irgendeine Gelegenheit, eine frische, handfeste, was einen weiterbringt, da hat ein ganz grüner Bursche den Wagen mit dem Gelähmten am Bahnhof Danziger Straße gesehn. Und fängt nun im Lokal ein Geschrei darüber an und was sie auch mit seinem Vater gemacht haben, der hat einen Brustschuß, und jetzt hat er knappe Luft, aber mit einmal soll das bloß Nervenleiden sein, und die Rente haben sie ihm gekürzt, und nächstens kriegt er gar keine mehr.
Das Gequassele hört sich ein anderer junger Bursch mit ner großen Jockeymütze an, der sitzt auf derselben Bank wie er, hat aber kein Bier vor sich. Der Bursche hat einen Unterkiefer wie ein Boxer. Der macht: »Puh! Die Krüppel – für die sollten sie überhaupt keinen Sechser geben.« »So siehste aus. Erst rausholen inn Krieg und dann nich zahlen.« »Gehört sich ooch so, Mensch. Wenn du woanders ne Dummheit machst, kriegste du ooch nich noch was druff gezahlt. Wenn sich ein kleiner Junge an den Wagen hängt und nachher fällt er runter und bricht sich ein Bein, kriegt er ooch keenen Pfennig. Warum denn: Ist doch alleene so dämlich.« »Wie Krieg war, Mensch, hast du ja noch gar nicht gelebt, warst ja noch in die Windeln.« »Quatsch, Quatsch, der Blödsinn in Deutschland ist, daß sie Unterstützung zahlen. Da loofen die Tausende rum, tun nischt, und dafür kriegen sie noch Geld.«
Mischen sich andere am Tisch ein: »Na nu halt dir aber wirklich mal senkrecht, Willi. Wat arbeitst du denn?« »Nischt. Ich tu ooch nischt. Und wenn sie mir noch lange wat zahlen, tu ich noch länger nischt. Bleibt darum doch immer Blödsinn, wenn sie mir wat geben.« Die andern lachen: »Det is nu ein Quasselkopf.«
Franz Biberkopf sitzt mit am Tisch. Der Junge drüben mit der Jockeymütze hat die Hände frech in den Taschen, kuckt ihn an, wie er dasitzt mit seinem einen Arm. Ein Mädel umarmt Franzen: »Du, du hast doch ooch bloß einen Arm. Sag mal, wat kriegste Rente.« »Wer will denn det wissen?« Das Mädel lockt den Jungen drüben: »Der da. Der interessiert sich davor. « »Nee, davor verinteressiere ich mir jarnicht. Ich sage bloß: wer so dämlich war inn Krieg gehen – na Schluß.« Das Mädel zu Franz: »Jetzt fürcht er sich.« »Vor mir nicht. Vor mir braucht er sich nicht zu fürchten. Sag ich doch ooch, sag ich doch nischt anders. Weeste du, wo mein Arm ist, der hier, der ab ist? Den hab ich mir in Spiritus setzen lassen, und jetzt steht er bei mir zu Haus ufm Spind und sagt zu mir den ganzen Tag runter: Tag Franz. Du Hornochse!«
Haha. Das ist ne Marke, feine Nummer. Ein älterer hat aus seinem Zeitungspapier ein paar dicke Stullen ausgepackt, die zerschneidet er mit seinem Taschenmesser, stopft sich die Stücke in den Mund: »Ich war nicht im Krieg, mir haben sie die ganze Zeit eingesperrt in Sibirien. Na, und nu bin ick zu Haus bei Muttern und hab Reißmichtüchtig. Wenn die nu kommen und wollen mir das Stempelgeld nehmen, Mensch, ihr seid wohl ganz übergefahren?« Der Junge: »Wovon haste denn Rheumatismus? Vom Handel auf der Straße, stimmts? Wenn du kranke Knochen hast, handelst eben nicht auf der Straße.« »Dann werd ich valleicht Lude.« Der Junge haut auf den Tisch vor das Stullenpapier: »Jawoll. Dann ist das richtig. Und da is gar nicht zu lachen. Sollste mal sehen von meinem Bruder seine Frau, meine Schwägerin, sind propre Leute, könnens mit jedem aufnehmen, glaubste, die haben sich geniert, haben sich den Dreck zahlen lassen, Stempelgeld? Der is nach Arbeit rumgeloofen, und sie hat nicht gewußt, wohin mit die paar Pfennig, und zwei kleine Jöhren zu Haus. Kann die Frau doch nicht arbeiten gehen. Da hat sie mal een kennengelernt, und dann hat sie vielleicht auch mal nen andern kennengelernt. Bis er wat gemerkt hat, mein Bruder. Da hat er mir geholt und hat gesagt, ich soll kommen und zuhören, wat er mit seine Frau abzumachen hat. Da ist er aber ann richtigen gekommen. Na, det Theater hätt ihr hören müssen. Der ist wie ein begossener Pudel abgezogen. Dem hat sie mit seine paar dreckigen Kröten ne Rede gehalten, det er man so gewackelt hat, mein Bruder, der Herr Gemahl. Der soll nich wieder nach oben kommen.« »Kommt nich mehr ruff?« »Der möcht schon. Nee, sie
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