Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
nicht, nach Hause traut sie sich nicht. Wo sie in Stellung ist, haben sie sie rausgeschmissen, weil die Polizei gefragt hat, und die Mutter hat ihr ooch rausgeschmissen. Sagt sie: Bloß weil ick mir ein bißchen amüsier? Wat soll man abends in Bernau?
Emil hört wie immer mit aufgestützten Armen zu und sagt dazu: »Da hat das Mädel ganz recht. Ick kenn Bernau ooch. Abends is da nischt los.«
Eva: »Na, nu kümmere ick mir ein bißchen um das Mädel; nachm Stettiner Bahnhof darf sie mir nich mehr hin.«
Herbert raucht eine Importe: »Wenn du ein Mann bist, der wat versteht, Franz, dann kannste, wer weeß, aus dem Mädel wat machen. Ich hab sie gesehen. Hat Rasse.«
Emil meint: »Bißchen jung, aber Rasse hat sie. Feste Knochen.« Sie kübeln weiter.
Von diesem Mädchen, das prompt am nächsten Mittag an seine Tür klopft, ist Franz auf den ersten Blick entzückt. Eva hat ihn lecker gemacht, er möchte auch Eva eine Freude tun. Aber die ist auch wirklich schnieke, prima, eins a, so was stand noch nicht drin in seinem Kochbuch. Sie ist eine kleine Person, sieht im weißen leichten Kleidchen mit bloßen Armen wie ein Schulmädchen aus, hat sanfte, langsame Bewegungen, ist unmerklich gleich neben ihm. Sie ist kaum eine halbe Stunde da, da kann er sich das kleine Luder nicht mehr aus seiner Stube wegdenken. Emilie Parsunke heißt sie eigentlich, aber heißen möchte sie lieber Sonja, so hat Eva immer zu ihr gesagt, weil sie so russische Backenknochen hat. »Und Eva«, meint das Mädel bettelnd, »Eva heißt ja auch nicht Eva, die heißt auch Emilie wie ich. Hats mir ja selbst gesagt.«
Franz schaukelt sie auf seinem Schoß und beguckt sich das zierliche, aber straffe Wunder und staunt, was ihm der liebe Gott für Glück ins Haus schickt. Das geht im Leben rauf und runter, wunderbar. Den Mann, der Eva so getauft hat, kennt er, das war er selbst, sie war sein Mädel vor der Ida, wär er lieber bei Eva geblieben. Na, nu hat er die hier.
Die heißt aber bei ihm bloß einen Tag Sonja, dann bettelt er, er kann so fremde Namen nicht leiden. Wenn sie aus Bernau is, kann sie ja auch anders heißen. Er hätte ja schon viele Mädels gehabt, das kann sie sich ja wohl denken, aber noch keene, die Marie hieß. Sone möchte er gern haben. Da nennt er sie denn nun »sein Miezeken«.
Und es dauert nicht lange – so in den Juli rein –, da erlebt er mit ihr was Schönes. Es kommt kein Kind an, und sie ist auch nicht krank. Es ist was anderes, was Franz bis an die Knochen geht, aber es wird nicht schlimm. Damals fährt Stresemann nach Paris, oder fährt er vielleicht nicht hin, in Weimar stürzt die Decke vom Telegraphenamt ein, und vielleicht gondelt auch ein stellungsloser Kerl seiner Braut nach, die ist mit einem andern nach Graz gefahren, und dann wird der Kerl die beiden totschießen und sich selber eine Kugel in den Kopf. Solche Dinge passieren bei jeder Witterung, auch das große Fischsterben in der Weißen Elster gehört dazu. Wenn man so was liest, staunt man; ist man dabei, so kommts einem gar nicht so großartig vor; passiert eigentlich in jedem Haus was.
Franz steht oft vor der Pfandkammer Alte Schönhauser Straße, drin in der Präpelstube verhandelt er mit dem und jenem, man kennt sich, Franz studiert die Zeitungsrubrik: Einkäufe, Verkäufe; mittags trifft er sich mit Mieze. Da fällt ihm einmal auf, daß Mieze so sehr abgehetzt zu Aschinger am Alex kommt, wo sie essen. Sie sagt, sie hat verschlafen – aber irgend was stimmt ihm bei dem Mädel nicht. Er vergißt es auch wieder, das Mädel ist so zart, daß mans nicht glauben kann, und in ihrer Stube ist alles so sauber und manierlich mit Blumen und Läppchen und Bändern wie bei einem kleinen Mädchen. Und immer ist schön gelüftet und mit Lavendelwasser gespritzt, daß er eine ordentliche Freude hat, wenn sie abends zusammen nach Hause kommen. Und im Bett, da ist sie sanft wie eine Feder, jedesmal so ruhig und zart und glücklich wie zuerst. Und immer ist sie ein bißchen ernst, und ganz wird er aus ihr nicht klug: Ob die was denkt, wenn sie so dasitzt und gar nichts tut, und was sie denkt. Fragt er sie, so sagt sie immer und lacht: sie denkt gar nichts. Man kann doch nicht den ganzen Tag was denken. Das findt er nu auch.
Aber da ist an der Tür draußen ein Briefkasten mit Franzens Namen, dem falschen: Franz Räcker, denn den gibt er immer für Inserate und für die Post an. Da erzählt ihm nun einmal Mieze: sie hat deutlich gehört, wie der Briefträger
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