Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
am Vormittag was in den Kasten geworfen hat, und wie sie hingeht, ist nichts drin. Franz wundert sich und fragt, was das sein soll. Da meint Mieze, den Brief muß eben einer rausgeangelt haben; das sind die Leute von drüben, die kucken immer durch das Guckloch, und da werden sie gesehen haben, wie der Briefträger kommt, und dann haben sie ihn eben rausgeholt. Franz kriegt einen roten wütenden Kopf, denkt: nanu, sind da welche hinter mir her, und geht abends rüber. Klopft, steht da eine Frau, sagt gleich, sie will mal ihren Mann holen. Da ist ein alter Mann – die Frau ist jünger, der Mann wohl 60, die Frau 30. Den fragt Franz, ob hier vielleicht ein Brief abgegeben ist, irrtümlicherweise, für ihn. Sieht der Mann seine Frau an: »Ist hier ein Brief abgegeben? Ick komm eben nach Hause.« »Nee, bei mir ist keener abgegeben.« »Wann solls gewesen sein, Mieze?« »So gegen elf; der kommt immer gegen elf.« Sagt die Frau: »Ja, der kommt immer gegen elf. Aber das Fräulein nimmt doch immer selber die Post ab, wenn welche kommt, der klingelt doch immer.« »Woher wissen Sie denn det so genau? Ick hab ihn mal getroffen auf der Treppe, und dann hat er mir einen gegeben; den hab ich ooch in den Kasten getan.« »Det weeß ich nicht, ob Sie den in den Kasten getan haben. Bloß daß er ihn Ihnen gegeben hat, hab ich gesehen. Na, wat solln wir denn nu dabei?« Franz: »Also, hier ist keen Brief vor mir, Räcker ist mein Name, hier ist kein Brief abgegeben worden?« »Jott behüte, wie werd ick denn Briefe für fremde Leute annehmen. Briefkasten haben wir nicht, sehen Sie, wie oft kommt der Mann zu uns.« Franz zieht mißmutig mit Mieze ab, hebt die Mütze: »Tschuldigen Sie man, Nabend.« »Nabend, Nabend.«
Franz und Mieze reden dann hin und her von der Sache. Franz überlegt, ob die Leute ihn vielleicht bespitzeln, er will mal Herbert und Eva davon erzählen. Er schärft Mieze ein, dem Briefträger zu sagen, er soll klingeln. »Ich tu es, Franzeken, aber manchmal kommt ein Neuer, Aushilfe.«
Und wie nach ein paar Tagen Franz eines Mittags nach Hause kommt, unversehens, Mieze ist schon zu Aschinger gegangen, da erfährt Franz die Lösung, etwas ganz Neues – ebendas, was ihm in die Knochen fährt, aber sehr weh tut es ihm doch nicht. Er geht in die Stube, die ist natürlich leer, sauber, aber eine Schachtel mit feinen Zigarren steht für ihn da, Mieze hat einen Zettel draufgelegt: »für Franzeken«, und zwei Flaschen Allasch. Franz ist glücklich, er denkt, wie dat Mädel mit dem Geld haushält, so was müßte man heiraten, und ist ganz voll Wonne, und was sagste, einen kleinen Piepmatz hat sie mir ooch gekauft, det is ja, als wenn ich Geburtstag hätte, na warte, mein Mäusken, ich will dir ooch. Und er sucht in seinen Taschen nach Geld, da klingelts, ja, das ist der Briefträger, kommt heute aber verflucht spät, ist ja schon 12, werd ich ihm mal selbst sagen.
Und Franz geht auf den Korridor, öffnet die Tür, horcht ins Haus, kein Briefträger da. Er wartet, kommt nicht, na, vielleicht sitzt der bei jemand. Franz nimmt den Brief raus und geht in die Stube. Da liegt in dem offenen Kuvert noch ein geschlossener Brief, und dabei ein Zettel, eine verstellte Querschrift: »Falsch abgegeben«, und ein unleserlicher Name. Der ist also doch von drüben gekommen, hinter wen spionieren die nu her. Der geschlossene Brief ist adressiert an: »Sonja Parsunke, bei Herrn Franz Räcker.« Det ist aber merkwürdig, von wem kriegt sie denn die Briefe, aus Berlin, ist ein Mann. Und schreibt da einer, es geht eisig durch Franz: »Herzgeliebter Schatz, wie lange läßt du einen auf Antwort lauern –« Er kann nicht weiterlesen, sitzt – und da stehen die Zigarren, der kleene Kanarienbauer.
Und da geht Franz runter, geht nicht zu Aschinger, geht zu Herbert und ist ganz weiß und zeigt dem den Brief. Der tuschelt nebenan mit Eva. Dann kommt auch schon Eva rein, schenkt Herbert noch einen Kuß, schiebt ihn ab und hängt sich Franzen an den Hals: »Na, Franzeken, krieg ich ooch n Kuß?« Der glotzt sie an. »Laß mir doch.« »Franzeken, nen Kuß. Wir sind doch alte Freunde.« »Na, Mensch, wat is denn, benimm dir, was soll sich Herbert denken.« »Den hab ick eben rausgeschmissen; komm mal, kannst ihn suchen.« Sie führt Franzen durch die Stube, Herbert ist weg, nu ja, soll er weg sein. Eva macht die Tür zu: »Dann kannste mir doch n Kuß schenken.« Dann schlingt sie sich um ihn, sie ist im Moment in einem wilden
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