Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
nichts. Da kannst du dir ja einfach ins Bett legen. Von Streik hab ich geredet, Massenstreik, Generalstreik.«
Franz hebt seinen Arm und lacht, er ist in Wut. »Und was du machst, das nennst du direkte Aktion: rumgehen, Zettel ankleben, Reden halten? Und inzwischen gehst du hin und machst die Kapitalisten stärker? Du Genosse, du Rindvieh, da drehste für die Granaten, womit sie dir totschießen, das willst du mir predigen? Willi, wat sagste nu! Ich schlag lang hin.« »Ich frage dir nochmal, wat arbeitest du?« »Dann sag ich dir nochmal: nischt! Dreck! Gar nischt! Ich werd euch was! Ick darf doch nicht. Nach deine eigene Theorie. Ich mach doch keinen Kapitalisten stärker. Ich pfeife überhaupt auf das ganze Gemeckere, auf deine Streiks und auf deine Männekens, die kommen sollen. Selbst ist der Mann. Ich mache allein, wat ich brauche. Ick bin Selbstversorger! Nanu!«
Der Arbeiter schluckt an seiner Brause, nickt: »Na, denn versuchs man alleene.« Franz lacht und lacht. Der Arbeiter: »Und das hab ich dir nu schon drei dutzendmal gesagt: alleene kannste nischt machen. Wir brauchen Kampforganisation. Wir müssen in die Massen Verständnis dafür tragen, für die Gewaltherrschaft des Staats und für das Wirtschaftsmonopol.« Und Franz lacht und lacht. Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun, uns von dem Elend zu erlösen, können nur wir selber tun.
Sie sitzen sich wortlos gegenüber. Der alte Arbeiter im grünen Kragen stiert Franzen an, der sieht ihm hart in die Augen, wat kuckste, Junge, wirst aus mir nicht klug, wat. Der Arbeiter öffnet den Mund: »Ich sage dir, ich seh schon: an dir, Genosse, ist jedes Wort verloren. Du bist vernagelt. Da wirste dir den Kopp einrennen. Du kennst nicht die Hauptsache beim Proletariat: Solidarität. Det kennste nicht.« »Na, weißte, Kollege, jetzt nehmen wir gleich unsern Hut und gehen los, was, Willi. Ist wohl schon genug. Du redst ja doch immer ein und dasselbe.« »Ja, das tu ich auch. Ihr könnt in den Keller gehen und euch vergraben. Aber in Versammlungen dürft ihr nicht gehen.« »Entschuldigen Sie man, Meester. Wir hatten grade ein halbes Stündchen Zeit. Und nu bedanken wir uns ooch schön. Wirt, zahlen. Paß uff, jetzt zahle ich: drei Bier, zwei Schnaps, ne Mark zehn, da, ick zahle, direkte Aktion.«
»Wat biste eigentlich, Kollege?« Der läßt nicht locker. Franz streicht den Restbetrag ein: »Ick? Lude. Siehstet mir nich an?« »Na, weit weg davon stehste nich.« »Ick. Lude, verstehste. Hab ick gesagt oder nicht? Also. Willi, sag du, wat du bist.« »Geht den nischt an.« Donnerwetter, det sind Strolche, wirklich. Det kann stimmen. So hab ich die taxiert. Die Strolche haben mich zum besten gehalten, die Luder, die wollten sich an mir reiben. »Ihr seid Abschaum vom Kapitalistensumpf. Haut bloß ab. Ihr seid noch nicht mal Proletarier. Sowat nennt man Lumpen.« Franz ist schon aufgestanden: »Wir gehen aber nicht ins Asyl. Guten Tag, Herr direkte Aktion. Machen Sie nur die Kapitalisten recht dick. Antreten sieben Uhr morgens, in die Knochenmühle, fünf Groschen in die Lohntüte für Muttern.« »Daß ihr euch nicht wieder sehen laßt.« »Nee, du direkte Quatschaktion, wir verkehren mit Kapitalistenknechte nicht.«
Ruhig rausspaziert. Auf der staubigen Straße gehen die beiden Arm in Arm. Willi atmet tief: »Den haste schön abgeseilt, Franz.« Er wundert sich, daß Franz einsilbig ist. Franz ist grimmig, merkwürdig, Franz ist mit Haß und Wut aus dem Saal gestiegen, es gärt in ihm, er weiß nicht warum.
Sie treffen Mieze im Mokka-fix in der Münzstraße, wo großer Trubel ist. Franz muß mit Mieze nach Haus, er muß mit ihr sprechen, mit ihr sitzen. Er erzählt ihr von dem Gespräch mit dem grauen Arbeiter. Mieze ist sehr sanft zu ihm, aber er will nur von ihr wissen, ob er recht geredet hat. Sie lächelt, versteht nicht, streichelt seine Hände, der Vogel ist aufgewacht, Franz seufzt, sie kann ihn nicht beruhigen.
Damenverschwörung, unsere lieben Damen haben
das Wort, das Herz Europas altert nicht
Und das Politische hört bei Franz nicht auf. (Warum? Was quält dich? Wogegen verteidigst du dich?) Er sieht da was, er sieht was, er will denen ins Gesicht schlagen, sie reizen ihn immerfort, er liest in der »Roten Fahne«, im »Arbeitslosen«. Bei Herbert und Eva erscheint er öfter mit Willi. Aber die mögen den Kerl nicht. Franz mag ihn auch nicht sehr, aber man kann mit dem Jungen reden, er ist ihnen doch allen über
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