Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
heißt, trinken wir noch eins. Dann ein Paar Segeltuchschuh, mit den örtlichen Verhältnissen in Zuchthäusern vertraut, mit Strohsohlen dran, zum Türmen geeignet, dann noch ne Decke. Mensch, die haste aber beim Hausvater abgeben sollen.
Die Wirtin schleicht rein, macht leise die Tür zu: Nicht so laut, sind Gäste vorn. Einer sieht nachm Fenster. Sein Nachbar lacht: Fenster ausgeschlossen. Wenn die Luft dick ist, kuck mal. – Und er faßt unter den Tisch, hebt am Boden eine Klappe hoch: Keller und dann am besten gleich uffn Nachbarhof, brauchst nicht zu klettern, alles glatte Wege. Bloßn Hut uffbehalten, sonst fällste uff.
Ein Alter knurrt: »War schön das Lied, was du gesungen hast. Gibt aber noch andere. Sind ooch nich falsch. Kennste das hier?« Er zieht ein Blatt raus, Schreibpapier, zerfetzt, unsicher beschrieben. »Der tote Sträfling.« »Aber nicht zu traurig!« »Was heißt traurig. Ist wahr und stimmt so gut wie deins.« »Nu weene man nich, nu weene man nich, in die Röhre stehn Klöße, drum weene man nich.«
»Der tote Sträfling. Arm zwar, aber jugendfreudig, schritt er einst den Pfad des Rechtes, heilig war ihm alles Edle, fremd war ihm Gemeines, Schlechtes. Doch des Unglücks böse Geister standen an der Lebenswende, einer bösen Tat verdächtigt fiel er Häschern in die Hände. (Die Jagd, die Jagd, die verfluchte Jagd, mir haben die verfluchten Hunde gejagt, wie haben sie mir gejagt, haben mir fast umgebracht. Das geht, man weiß sich nicht zu retten, immer weiter, immer weiter, man weiß nicht, so schnell kann man nicht rennen, man rennt, was man kann, und zuletzt kommt einer doch ran. Jetzt haben Sie Franzen, jetzt schmeiß ick mir hin, jetzt bin ich soweit, na, prost Mahlzeit denn, prosteken.)
All sein Schrein, sein Beteuern, all sein Zorn konnt ihn nicht retten, gegen ihn war Schein und Zeugnis, sicher waren ihm die Ketten. Zwar die weisen Richter irrten (die Jagd, die Jagd, die verfluchte Jagd), als sein Urteil sie gesprochen (wie haben die verfluchten Hunde mir gejagt), doch was half ihm seine Unschuld, als sein Ehrenschild gebrochen. Menschheit, Menschheit, ruft er mit ersticktem Weinen, warum wollt ihr mich zertreten, niemals tat ich Unrecht einem. (Das geht, man weiß sich nicht zu retten. Und weiter und weiter, man rennt, so schnell kann man nicht rennen und tut, was man kann.)
Als er aus des Kerkers Mauern wieder kam als fremder Wanderer, war die Welt nicht mehr dieselbe, und er selbst war auch ein anderer. Irrte an des Stromes Ufer, doch gebrochen war die Brücke, Krank am Herzen, voller Groll triebs ihn in die Nacht zurücke. Niemand wollte Brot ihm geben (die Jagd, die Jagd, die verfluchte Jagd), und da war er ungeduldig, half sich selbst und ging ans Leben. Diesmal war er wirklich schuldig.
(Schuldig, schuldig, schuldig, ah, das ist es, muß man werden, mußte man werden, müßte man noch tausendmal mehr werden!) Solche Tat bestraft man strenger, so gebeut Moral und Sitte, nach der Zuchthauszelle wieder lenkt er jammernd seine Schritte. (Franz hallelujah, du hörst es, tausendmal mehr schuldig werden, tausendmal mehr schuldig werden.) Ja, noch einen Sprung ins Freie, Rauben, Morden, Guterjagen, und die Menschheit, diese Bestie, einfach fühllos niederschlagen. Er war fort, doch kam bald wieder, schwerbelastet. Rasch vergänglich war der letzte Rausch und Sünde und die Strafe lebenslänglich. (Die Jagd, die Jagd, die verfluchte Jagd, er hatte recht, das hat er recht gemacht.)
Doch nun kennt er keine Klage, läßt sich schelten, läßt sich treten, biegt er stumm ins Joch den Rücken, lernet heucheln, lernet beten. Tut mit Stumpfsinn seine Arbeit, Tag für Tag, das immer Gleiche, lang schon war sein Geist zerbrochen, eh er selber eine Leiche. (Die Jagd, die Jagd, die verfluchte Jagd, die haben mir immerfort gejagt, ich hab immer mein Bestes getan, ich bin jetzt in den Dreck gefahren und bin nicht dran schuld, was sollt ich denn tun. Ich heiße Franze Biberkopf, und das bin ich noch immer, aufgepaßt.)
Heut hat er den Lauf vollendet, bei des Lenzes Frühlingshelle legt man ihn ins Grab hinunter, des Gefangenen beste Zelle. Und die Zuchthausglocke läutet ihm den letzten Scheidegruß, ihm, der für die Welt verloren in dem Zuchthaus sterben muß. (Aufgepaßt, geehrte Herren, Franze Biberkopf kennt ihr noch nicht, der verkooft sich nicht fürn Sechser, wenn der in sein Grab muß fahren, hat er an jedem Finger einen, der ihn beim lieben Gott muß anmelden und drin sagen
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