Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
»Wieso?« »Na, stimmts oder nicht?« »Kommt bei mir nicht vor. Ne Frau, die das von einem verlangt, nee so was, ist denn so was möglich? Das gibts?« »Liest es ja.« »Na, das ist allerhand. Die sollte mir kommen.«
Franz liest verblüfft den Satz nochmal, dann fährt er hoch, zeigt dem Weißkopf: »Na, und hier weiter: Ich will dafür ein Beispiel geben aus dem Werk von d’Annunzio, Lust, paß auf, d’Annunzio heißt das Oberschwein, n Spanier oder Italiener oder aus Amerika. Hier sind die Gedanken des Mannes so von der ihm fernen Geliebten erfüllt, daß ihm in einer Liebesnacht mit einer Frau, die ihm als Ersatz dient, der Name der wahren Geliebten gegen seinen Willen entflieht. Da schlägts dreizehn. Nee, du, Kollege, mit so was, da mach ich nicht mit.« »Erstens, wo steht es, zeig her.« »Hier. Als Ersatz dient. Kautschuk als Gummi. Kohlrüben statt richtiges Essen. Haste mal gehört, als Ersatz dient ne Frau, n Mächen? Nimmt sich ne andere, weil er seine grade nicht hat, und die neue merkts und dann ist gut und die soll vielleicht nicht piepen? Das läßt der drucken, der Spanier. Das würde ich als Setzer nicht drucken.« »Nu mach doch hallwege, Mensch. Mußt doch bloß nicht glauben, daß du mit deinem bißchen Verstand kannst verstehen, was so einer, ein richtiger Schriftsteller und noch dazu n Spanier oder Italiener, was der meint, so hier im Gedränge am Hackeschen Markt.«
Franz liest weiter: »Eine große Leere und Schweigen füllte darauf ihre Seele. Ist ja zum Bäumeklettern. Das soll mir einer weismachen. Der kann kommen, von wo er will. Seit wann Leere und Schweigen. Da kann ich mitreden, so gut wie der, und die Mädels werden da auch nicht anders sein wie woanders. Hab ick mal eine gehabt und die hat was gemerkt, Adresse in meinem Notizbuch, denkst du: die merkt was und dann schweigen? So siehst du aus, da kennst du Weiber, mein Junge. Die hättest du hören müssen. Da hat das ganze Haus gegellt und getönt. So hat die gebrüllt. Ich hab ihr gar nicht sagen können, was eigentlich los war. Die immer weiter, als wenn se am Spieß steckt. Die Leute sind angekommen. Ich war froh, als ich raus war.« »Mensch, du merkst ja was gar nicht, zwei Sachen.« »Und die?« »Wenn mir einer die Zeitung abnimmt, kauft er sie, der behält sie. Wenn da Quatsch drin steht, störts auch nicht, den interessieren ja doch bloß die Bilder.« Franz Biberkopfs linkes Auge mißbilligte das. »Und dann haben wir hier die Frauenliebe und die Freundschaft, und die quatschen nicht, die kämpfen. Jawoll, für Menschenrechte.« »Wo fehlts denen denn?« »Paragraph 175, wenn dus noch nicht weißt.« Ist heute grade ein Vortrag in der Landsberger Straße, Alexanderpalais, da könnte Franz was hören über das Unrecht, das einer Million Menschen täglich in Deutschland geschieht. Die Haare könnten einem zu Berge stehen. Einen Stoß alter Zeitschriften schob der Mann ihm noch unter den Arm. Franz seufzte, sah auf den Pack in seinem Arm; ja, er wird wohl kommen. Was soll ich eigentlich da, geh ich da wirklich hin, ob das ein Geschäft mit sonen Zeitschriften ist. Die schwulen Buben; das packt er mir nu auf, das soll ich nach Hause tragen und lesen. Leid können einem ja die Jungs tun, aber eigentlich gehn sie mir nichts an.
Er zog in einem großen Schlamassel ab, die Sache kam ihm so wenig koscher vor, daß er Lina kein Wort sagte und sie abends versetzte. Der alte Zeitungshändler stopfte ihn in den kleinen Saal, wo fast lauter Männer beisammen saßen, meist sehr junge, und ein paar Frauen, aber auch als Pärchen. Franz sagte eine Stunde lang kein Wort, hinter seinem Hut griente er viel. Nach 10 Uhr konnte er nicht mehr an sich halten, er mußte sich drücken, die Sache und die Leutchen waren zu komisch, so viel Schwule auf einem Haufen und er mitten drin, er mußte rasch raus und lachte bis zum Alexanderplatz. Zuletzt hörte er drin noch den Referenten sprechen von Chemnitz, wo es eine Polizeiverordnung gäbe vom November 27. Da dürfen die Gleichgeschlechtigen nicht auf die Straße gehen und nicht in die Bedürfnisanstalten, und wenn sie erwischt werden, kostet es sie 30 Mark. Franz suchte Lina, aber die war mit ihrer Wirtin ausgegangen. Er legte sich schlafen. Im Traum lachte und schimpfte er viel, er schlug sich mit einem blödsinnigen Kutscher herum, der ihn immer um den Rolandbrunnen an der Siegesallee im Kreise herumfuhr. Der Verkehrsschupo war auch schon hinter dem Wagen her. Da sprang Franz schließlich
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