Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
abstehende Ohren, lustige Bullaugen. »Die großen Warenhäuser haben keinen Grund, sich von mir Reklame machen zu lassen, die können auch ohne mir bestehen. Kaufen Sie sich solchen Schlips, wie ich hier habe, und dann denken Sie daran, wie Sie ihn morgens binden sollen.
Herrschaften, wer hat heutzutage Zeit, sich morgens einen Schlips zu binden, und gönnt sich nicht lieber die Minute mehr Schlaf. Wir brauchen alle viel Schlaf, weil wir viel arbeiten müssen und wenig verdienen. Ein solcher Schlipshalter erleichtert Ihnen den Schlaf. Er macht den Apotheken Konkurrenz, denn wer solchen Schlipshalter kauft, wie ich hier habe, braucht kein Schlafgift und keinen Schlummerpunsch und nichts. Er schläft ungewiegt wie das Kind an der Mutterbrust, weil er weiß: es gibt morgens kein Gedränge; was er braucht, liegt auf der Kommode fix und fertig und braucht bloß in den Kragen geschoben zu werden. Sie geben Ihr Geld für viel Dreck aus. Da haben Sie voriges Jahr die Ganofim gesehn im Krokodil, vorne gab es heiße Bockwurst, hinten hat Jolly gelegen im Glaskasten und hat sich den Sauerkohl um den Mund wachsen lassen. Das hat jeder von Ihnen gesehn, – treten Sie nur dichter zusammen, damit daß ich meine Stimme schonen kann, ich hab meine Stimme nicht versichert, mir fehlt noch die erste Anzahlung – wie Jolly im Glaskasten lag, das haben Sie gesehn. Wie sie ihm aber Schokolade zugesteckt haben, das haben Sie nicht gesehn. Hier kaufen Sie ehrliche Ware, es ist nicht Zelluloid, es ist Gummi gewalzt, ein Stück zwanzich Pfennig, drei Stück fuffzich.
Gehn Sie weg vom Damm, junger Mann, sonst überfährt Sie ein Auto, und wer soll nachher den Müll zusammenfegen? Ich werde Ihnen erklären, wie man den Schlips bindet, man braucht Ihnen doch nicht mit dem Holzhammer auf den Kopf hauen. Das verstehen Sie sofort. Sie nehmen von der einen Seite hier dreißich bis fünfunddreißich Zentimeter, dann legen Sie den Schlips zusammen, aber nicht so. Das sieht aus, als wenn eine plattgedrückte Wanze an der Wand klebt, eine Tapetenflunder, so was trägt der feine Mann nicht. Dann nehmen Sie meinen Apparat. Man muß Zeit sparen. Zeit ist Geld. Die Romantik ist weg und kommt niemals wieder, damit müssen wir alle heutzutage rechnen. Sie können sich nicht jeden Tag erst langsam den Gasschlauch um den Hals ziehen, Sie brauchen diese fertige gediegene Sache. Sehen Sie her, das ist Ihr Geschenk zu Weihnachten, das ist nach Ihrem Geschmack, Herrschaften, das ist zu Ihrem Wohl. Wenn Ihnen der Dawesplan noch etwas gelassen hat, so ist es der Kopf unter dem Deckel, und der muß Ihnen sagen, das ist was für dich, das kaufst du und trägst es nach Hause, das wird dich trösten.
Herrschaften, wir brauchen Trost, alle wie wir sind, und wenn wir dumm sind, so suchen wir ihn in der Kneipe. Wer vernünftig ist, tut so was nicht, schon des Geldbeutels wegen, denn was die Budiker heute für schlechten Schnaps verzapfen, ist himmelschreiend, und der gute ist teuer. Darum nehmen Sie diesen Apparat, stecken einen schmalen Streifen hier durch, Sie können auch breite nehmen, wie die schwulen Buben an den Schuhen tragen, wenn sie auf Fahrt gehen. Hier ziehen Sie durch und nun fassen Sie das eine Ende. Ein deutscher Mann kauft nur reelle Ware, die haben Sie hier.«
Lina besorgt es den schwulen Buben
Aber das genügt Franz Biberkopf nicht. Er wackelt mit den Augäpfeln. Er beobachtet mit der schlampigen herzlichen Lina das Straßenleben zwischen Alex und Rosenthaler Platz und entschließt sich, Zeitungen zu handeln. Warum? Sie haben ihm davon erzählt, Lina kann helfen, und es ist was für ihn. Einmal hin, einmal her, ringsherum, es ist nicht schwer.
»Lina, ich kann nicht reden, ich bin kein Volksredner. Wenn ich ausrufe, verstehen sie mich, aber es ist nicht das Richtige. Weißt du, was Geist ist?« »Nee«, glubscht ihn Lina erwartungsvoll an. »Kuck dir die Jungens auf dem Alex und hier an, die haben alle keinen Geist. Auch die mit Buden und mitm Karren ziehen, ist alles nichts. Sind schlau, schlaue Brüder, saftige Jungens, mir brauchste zu sagen. Stell dir aber vor, son Redner im Reichstag, Bismarck oder Bebel, die jetzt sind ja nichts, Mensch, die haben Geist. Geist, das ist Kopf, nich bloß son Deetz. Die können allesamt bei mir nichts erben mit ihre weiche Birne. Redner was ein Redner ist.« »Biste doch, Franz.« »Mir brauchste zu sagen, ich und Redner. Weißte, wer Redner war? Na, wirste nich glauben, deine Wirtin.« »Die Schwenk?« »Nee,
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