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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Franz, den Kopf aufgestemmt, sagt ein Gedicht auf, das Dohms gemacht hat, und die Zelle ist da, der Spazierhof, er kann sie ruhig ertragen, was mögen jetzt für Jungens drinstecken; er geht jetzt selbst auf dem Spazierhof, das ist mehr als die hier können, was wissen die vom Leben.
    Er sagt: »Willst du, o Mensch, auf dieser Erden ein männliches Subjekte werden, dann überleg es dir genau, eh du dich von der weisen Frau ans Tageslicht befördern läßt! Die Erde ist ein Jammernest! Glaub es dem Dichter dieser Strophen, der oft an dieser dofen, an dieser harten Speise kaut! Zitat aus Goethes Faust geklaut: Der Mensch ist seines Lebens froh gewöhnlich nur als Embryo!... Da ist der gute Vater Staat, er gängelt dich von früh bis spat. Er zwickt und beutelt dich nach Noten mit Paragraphen und Verboten! Sein erst Gebot heißt: Mensch, berappe! das zweite: halte deine Klappe! So lebst du in der Dämmerung, im Zustand der Belämmerung. Und suchst du ab und zu den steifen Verdruß im Wirtshaus zu ersäufen, in Bier, beziehentlich in Wein, dann stellt sich prompt der Kater ein. Inzwischen melden sich die Jahre, der Mottenfraß zermürbt die Haare, es kracht bedenklich im Gebälke, die Glieder werden schlapp und welke; die Grütze säuert im Gehirn, und immer dünner wird der Zwirn. Kurzum, du merkst, es wird jetzt Herbst, du legst den Löffel hin und sterbst. Nun frag ich dich, o Freund, mit Beben, was ist der Mensch, was ist das Leben? Schon unser großer Schiller spricht: ›Der Güter höchstes ist es nicht.‹ Ich aber sag: es gleicht ner Hühnerleiter, von oben bis unten und so weiter.«
    Sie sind alle still. Nach einer Pause meint Franz: »Ja, das hat der gemacht, war aus Hannover, ich habs aber behalten. Schön, was, ist was fürs Leben, aber bitter.«
    Von drüben kommt es: »Na, da merk es dir man mit dem Staat, der gute Vater Staat, und wer dir gängelt, der Staat. Auswendig lernen, Kollege, damit ist auch nicht geschafft.« Franz hat noch den Kopf aufgestützt, das Gedicht ist noch da: »Ja, Austern und Kaviar haben die nicht und wir nicht. Man muß sich sein Brot verdienen, muß schwer sein fürn armen Deibel. Man muß froh sein, wenn man seine Beine hat und draußen ist.« Die schießen weiter von drüben, der Kerl wird doch schon aufwachen: »Man kann sich sein Brot auf verschiedene Art und Weise verdienen. In Rußland hats da früher Spitzel gegeben, die haben viel Geld mit verdient.« Der andere Neue trompetet: »Da gibts noch ganz andere bei uns, da sitzen welche oben an der Futterkrippe, die haben die Arbeiterschaft verraten an die Kapitalisten und werden dafür bezahlt.« »Sind nicht besser als die Huren.« »Schlimmer.«
    Franz denkt an sein Gedicht und was wohl die guten Jungens da draußen machen, werden viele neue da sein, gibt ja jeden Tag Transporte, da rufen sie: »Nu mal los! Wie ist mit unserm Lied? Wir haben keene Musik, versprechen und nicht halten.« Ein Lied noch, können sie haben: ich verspreche, und ich halte. Erst anfeuchten.
    Und Franz nimmt sein neues Seidel, zieht einen Schluck, was soll ich singen; im Moment sieht er sich im Hof stehen und irgend was brüllen gegen die Hofwände, was einem heute so einfällt, was war es denn? Und friedlich langsam singt er, es fließt ihm in den Mund: »Ich hatt einen Kameraden, einen bessern gibt es nicht. Die Trommel schlug zum Streiheite, er ging an meiner Seiheite in gleichem Schritt und Tritt. In gleichem Schritt und Tritt.« Pause. Er singt die zweite Strophe: »Eine Kugel kam geflogen, gilt sie mir, oder gilt sie dir; sie hat ihn weggerihissen, er liegt zu meinen Fühüßen, als wärs ein Stück von mir. Als wärs ein Stück von mir.« Und laut den letzten Vers: »Will mir die Hand noch reichen, dieweil ich eben lad. Kann dir die Hand nicht geheben, bleib du im ewgen Leheben, mein guter Kameherad, mein – guter Kameherad.«
    Laut und getragen, zurückgelehnt hat er zuletzt gesungen, tapfer und satt singt er. Zum Schluß haben sie drüben ihre Verblüffung überwunden und gröhlen mit und schlagen auf den Tisch und kreischen und machen Theater: »Mein guteher Kamekamerahad.« Franz aber ist, während er singt, eingefallen, was er eigentlich singen wollte. Da hat er auf dem Hof gestanden, nun ist er zufrieden, daß er es gefunden hat, ihm ist es gleich, wo er ist; jetzt ist er im Singen, es muß raus, das Lied muß er singen, die Juden sind da, die zanken sich, wie hieß doch der Pole und der feine alte Herr; Zärtlichkeit, Dankbarkeit; er

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