Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
seine Stimme klingt gewöhnlich, er hält noch den Kopf gesenkt, sie regen ihn nicht mehr auf: »Ich geh. Vergnügen meinerseits. Was in eurem Kopf steht, geht mich nicht an.«
Sie hören ohne Antwort. Laßt die verächtlichen Schurken des Renegatentums unter dem Beifall der Bourgeoisie und der Sozialchauvinisten die Rätekonstitution verunglimpfen. Es beschleunigt und vertieft den Bruch der revolutionären Arbeiter Europas mit den Scheidemännern und so weiter. Die Massen der unterdrückten Klassen sind für uns.
Franz nimmt seine Mütze: »Mir tuts leid, Orge, daß wir so auseinanderkommen, durch so was.« Er hält ihm die Hand hin, Dreske nimmt sie nicht, setzt sich auf seinen Stuhl. Blut muß fließen, Blut muß fließen, knüppelhageldick.
»Na, denn geh ich. Was hab ich zu zahlen, Henschke, und das Glas und den Teller auch.«
Das ist seine Ordnung. Für 14 Kinder eine Porzellantasse. Ein Wohlfahrtserlaß des Zentrumministers Hirtsiefer: Von der Veröffentlichung dieses Erlasses ist Abstand zu nehmen. Mit Rücksicht auf die Geringfügigkeit der mir zur Verfügung stehenden Mittel kommen jedoch nur solche Fälle in Betracht, in denen nicht nur die Kinderzahl eine ganz besonders hohe – etwa die Zahl 12 erreicht, sondern in denen auch die sorgfältige Erziehung der Kinder in Ansehung der wirtschaftlichen Verhältnisse ein ganz besonderes Opfer darstellt und trotzdem in mustergültiger Weise geschieht.
Einer brüllt hinter Franz: »Heil dir im Siegerkranz, Kartoffeln mit Heringsschwanz.« Soll sich den Mostrich vom Hintern wischen, der Kerl. Schade, daß ich ihn nicht unter die Finger gekriegt habe. Franz hat seine Mütze auf. Der Hackesche Markt fällt ihm ein, die schwulen Buben, der Weißkopfstand mit Zeitschriften, und er wollte nicht, er zögert, er geht.
Er ist draußen in der Kälte. Direkt vor dem Laden steht Lina, die gerade kommt. Er geht langsam. Am liebsten möchte er zurück und denen erklären, wie verrückt sie sind. Verrückt sind sie, die werden besoffen gemacht, die sind alle gar nicht so, sogar der Lange, der kesse, der hinplumpste, nicht. Die wissen bloß nicht, wohin mit dem vielen Blut, ja, die haben zu heißes Blut, wenn die draußen wären in Tegel oder was hinter sich hätten, denen würde schon ein Licht aufgehen, aber hundertkerzig.
Er hat Lina am Arm, blickt sich auf der finsteren Straße um. Könnten auch mehr Laternen anstecken. Was wollen die Leute von einem, erst die Schwulen, die einen nichts angehen, jetzt die Roten. Was geht mich das alles an, sollen ihren Mist alleene fahren. Sollen einen sitzen lassen, wo man sitzt; nicht mal sein Bier kann man ruhig austrinken. Am liebsten geh ich zurück und hau dem Henschke seinen ganzen Laden in Klump. Es flackert wieder und pulsiert in Franzens Augen; seine Stirn und Nase wird dick. Aber das läßt nach; er hält sich an Lina, er kratzt sie am Handgelenk, sie lächelt: »Das kannste ruhig machen, Franzeken, son hübsches Kratzerchen von dir.«
»Jetzt gehn wir schwofen, Lina, wir gehn nicht in sone Stinkbude, ich hab genug davon, die rauchen und rauchen, und dabei sitzt da ein kleiner Stieglitz und der kann rein umkommen, das macht ihnen aber nischt aus.« Und ihr erklärt er, wie recht er eben gehabt hat, und sie findet es auch. Sie steigen in die Elektrische und fahren runter nach der Jannowitzbrücke in Walterchens Ballhaus. So, wie er geht und steht, fährt er hin, und Lina darf sich nicht mal umziehen, sie ist auch so schön. Und die Dicke holt in der Elektrischen, wie sie fahren, noch ein Blättchen aus ihrer Tasche, das ist ganz verknautscht. Das hat sie ihm mitgebracht, es ist ein Sonntagsblatt, der Friedensbote. Franz bemerkt, mit dem Blatt handelt er nicht, er drückt ihr die Hand, freut sich über den schönen Titel und die Überschrift auf der ersten Seite: »Durch Unglück zum Glück.«
Mit den Händchen klapp, klapp, mit den Füßchen trapp, Fische, Vögel, ganzen Tag, Paradies.
Die Elektrische stuckert, sie lesen im Wagen bei dem schwachen Licht, die Köpfe zusammen, das Gedicht auf der ersten Seite, das Lina mit Bleistift eingerahmt hat: »Es geht sich besser zu zweien«, von E. Fischer: »Allein zu gehn, ein schlimmer Gang, der Fuß oft strauchelnd, das Herz so bang: es geht sich besser zu zwein. Und willst du fallen, wer stützt den Schritt? Und bist du müde, wer zieht dich mit? Es geht sich besser zu zwein. Du stiller Wanderer durch Welt und Zeit, nimm Jesum Christum dir zum Geleit; es geht sich besser zu
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