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Berlin blutrot

Berlin blutrot

Titel: Berlin blutrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: u.a. Sebastian Fitzek
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beschloss, vom Dach dieses Hochhauses zu springen. Eine letzte Demonstration. Meine ehemaligen Kollegen würden mich bedauern, vielleicht sogar einen Nachruf verfassen. Immerhin. Frau Kerper verließ gerade das Gebäude. Frau Kerper war Gebietsleiterin der Versicherung. Sie hatte zu meiner Zerrüttung erheblich durch ihren Papagei beigetragen, der in einem großen Bauer neben ihrem Schreibtisch saß. Er beherrschte mehrere Arten hündischen Bellens und Knurrens. „Jago, bell mal wie ein Spitz“, sagte Frau Kerper, wenn ich ihr Büro betrat. Jago bellte dann wie ein Spitz. Durchdringend. Schauderhaft. Der Anblick von Frau Kerper brachte mich von meinem Entschluss ab, mich vom Dach des Hochhauses zu stürzen. Frau Kerper hatte es immer genossen, wenn ich beim Bellen ihres Papageis litt. Bestimmt bellte er, während ich zerschmettert auf dem Trottoir lag und sie aus dem geöffneten Fenster auf mich herunter sah.
    Ich schleppte mich nach Hause. Ich wollte mich ins Bett legen und abwarten. Vielleicht starb ich ja einfach so. Mir kam der Briefträger entgegen. „Sie haben einen Einschreibebrief. Sie müssen unterzeichnen. Hier“, sagte er. Ich unterschrieb. Es war mir vollkommen egal, was in dem Einschreibebrief stand. Ich hatte mit allem abgeschlossen. Ich hätte den Brief gleich in die Mülltonne werfen können. Ich öffnete ihn aus reinem Pflichtgefühl. Mir lachte aus den Zeilen das Glück entgegen. Ein Notar teilte mir mit, dass eine mir völlig unbekannte Tante mich zu ihrem Universalerben gemacht hatte. Es war wie im Traum. Ich erbte ein wunderbares Penthouse über den Dächern Berlins, mit einer riesigen Dachterrasse, auf der sich eine hohe Glaskuppel befand, in der exotische Pflanzen wuchsen, und Bäume! Olivenbäume, Dattelbäume, Palmen! Einfach herrlich! In der Glaskuppel herrschte absolute Stille! Auf der Dachterrasse war es auch still. Die böse Welt voller Geräusche war weit weg. Allenfalls ein leises Rauschen war zu hören. Vögel tummelten sich in hohen Büschen, die in großen Kübeln angepflanzt waren. Wasserspiele wisperten und murmelten geheimnisvoll. Fontänen stiegen aus einem Marmorbrunnen, der mit einem Jüngling geschmückt. Wasser netzte seine nackte Haut aus weißem Marmor. Nachts tauchten ihn Scheinwerfer, die im Brunnen angebracht waren, in gleißendes Licht. Die Marmorhaut, über die Wasser floss und ihn gewandete, flimmerte silbrig.
    Das Penthouse war mit erlesenen Möbeln und Bildern ausgestattet. Von der Tante selbst erfuhr ich nichts. Ich wusste auch nicht, auf welchem Friedhof sie bestattet war. „Ich bin zu strengstem Stillschweigen angehalten“, sagte der Notar. Es war mysteriös. Aber wenn es der Wille der unbekannten Tante war, ohne jeden Gruß die ewige Fliege zu machen, bitte, ich nahm es hin. Ihr zu Ehren brannte immer eine dicke, hohe Kerze auf einem kostbaren silbernen Kerzenleuchter.
    Die Tante hatte mir auch ein nettes Sümmchen und Obligationen hinterlassen. Ich hatte ausgesorgt.
    An meine Dachterrasse grenzte die Dachterrasse des Nachbarn. Wir waren durch eine solide Hohlsteinmauer voneinander getrennt. Die hohlen Steine waren mit Löchern versehen, die man mit Erde gefüllt hatte. Aus den Öffnungen wuchsen Hängeblumen. „Im Sommer freuen sich die Bienen über die Blüten“, sagte der Hausmeister, als er mich in das Penthouse einwies. „Ihr Nachbar ist übrigens fast nie da. Immer auf Tournee durch alle Konzertsäle. Er ist Kunstpfeifer.“ Er nannte einen Namen. Ich kannte ihn nicht. Dennoch hatte ich eine Beklemmung in der Brust. Kunstpfeifer.
    Die Beklemmung verflog. Ich genoss meine Idylle. Ich hatte keine Anfälle mehr. Ein Service- Dienst versorgte mich mit allem Notwendigen. So konnte ich mich der bösen Welt mit ihren Torturen entziehen und lebte wie im Paradies. Nur nachts unternahm ich hin und wieder kleine Ausflüge, die ich unbeschadet überstand.
    Dann schellte es an meiner Türe. Der Service-Dienst konnte es nicht sein. Der hatte einen Schlüssel. Bisher hatte es kein Schellen, kein unliebsames Geräusch gegeben. Die Schelle läutete kuhglockenartig, nur gedämpfter. Ich vermeinte, auch ein Muhen zu hören. Wer konnte das sein? Sollte ich öffnen? Es läutete wieder. Gedämpfte Kuhglocke mit dezentem Muhen, ganz deutlich. Das altbekannte innere Kribbeln setzte ein. Bitte kein Schellen mehr! Das wäre Ausbruch! Raserei! Ich eilte schnell zur Türe und öffnete sie. Nur kein Schellen mehr! Vor mir stand ein kolossaler Mann. „Ich bin zwei Meter hoch,

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