Berlin blutrot
waren lange verschwunden und die großen Wohnungen unterteilt worden. Ausgeblichene Gemälde an den Wänden, billige Lampen statt Kronleuchtern, dieses Haus hatte schon bessere Zeiten gesehen. Aber wie einem aus der Zeit gefallenen Butler, dessen weißen Handschuhe vergilbt und dessen Anzug fadenscheinig geworden ist, der aber die Contenance bewahrt und vornehm tut, als hätte sich nichts geändert, haftete dem alten Haus noch immer ein Flair von etwas Besonderem an. Und sei es Geschichte.
Oben bei ihrer Wohnung angekommen, stoppte Ada ihren sportlichen Dauerlauf. Sie freute sich auf ihre gemütlichen Räume und die große Dachterrasse, auf der es dschungelgleich wucherte. Jetzt stutzte sie: Ihre Wohnungstür stand einen Spaltbreit offen. Dass sie sie nicht offen gelassen hatte, war sie sich mehr als sicher. Das tat sie nie. Allerdings hatte sie vorgehabt, ein ordentliches Sicherheitsschloss einbauen zu lassen. Jetzt hatte sie wirklich einen Grund dazu, denn das alte war aufgebrochen. Aber zuerst einmal musste sie feststellen, ob der ungebetene Besucher noch da war. Leise stieß Ada die Tür ein Stückchen weiter auf.
Das Chaos war extrem. Es stand nichts mehr am alten Platz. Ihre schöne Wohnung war ein Schlachtfeld. Selbst ihr bis zur Decke reichendes Bücherregal war ausgeräumt, die Bücher lagen verstreut am Boden. Okay, versuchte Ada positiv zu denken, ich wollte sie sowieso längst wieder ordnen.
Irgendjemand musste sie beobachtet haben. Dachte wohl, das Köfferchen mit den kostbaren Steinen wäre bei ihr versteckt. Andererseits hätte doch wohl jeder nicht völlig Blinde bemerken können, dass Pia mit dem Koffer im Bahnhof verschwunden ist. Nachdem Ada einen Schlüsseldienst beauftragt hatte, machte sie sich auf den Weg in ihr Büro.
In der Bleibtreustraße hatte sie wie immer das Gefühl, hier würden alle Menschen ihre Prada-Klamotten der letzten Saison für die armen Neger in Afrika spenden, wären Elternsprecher in der Privatschule ihrer Kids und könnten zu Leuten, die ihren Müll nicht trennen, echt ungemütlich werden.
Immerhin wirkte die bürgerlich-verlässliche Adresse auf dem Briefkopf auf potentielle Klienten anziehend. Und ihr Büro mit den drei geräumigen hellen Räumen, die sparsam im Bauhausähnlichen Stil eingerichtet waren, war wirklich hübsch.
Ada berichtete Nelly ausführlich von den Neuigkeiten des Tages: Ein Raubvogel-Schläger, nun mit Beule, Frau Pia Freitag unterwegs nach Holland, Papiere, Geldbündel und ein Säckchen Diamanten. Soweit so vorbei. Aber ihre verwüstete Wohnung …
Was nun?
„Mal sehen, was es über Madame Freitag so gibt.“ Nelly war wie immer pragmatisch-optimistisch. Sie googelte und surfte, warf alle möglichen und unmöglichen Suchmaschinen an und rief Seiten auf. Von Pia Freitag keine Spur. „Und was ist mit dem Raubvogel?“, sinnierte Nelly. „Vielleicht hatte er von der Übergabe Wind bekommen und wollte absahnen. Zu dumm, dass du aber auch gar nichts in seinen Taschen gefunden hast. So kommen wir nicht weiter.“
Ada wechselte in ihren Büroraum und warf den Computer an. Kaum hatte sie sich auf ihrem Lederdrehstuhl niedergelassen, öffnete sich die Tür und Nelly steckte den hübschen blond gelockten Kopf herein.
„Die Polizei ist da.“ Sie flötete es so fröhlich, als sage sie: Kaffeewasser
kocht.
Zwei Typen traten ein und senkten die Raumtemperatur. Der eine, etwa Anfang 30, war klein, schlank und hübsch, hatte einen olivfarbenen Teint, dunkle Haare und Augen. Er war der Gute, tippte Ada. Der große war um die 50, hatte einen Bürstenhaarschnitt unter dem die Kopfhaut hervorschimmerte und ein narbiges Gesicht. Er eignete sich bestens, um den bad guy zu geben. Und so kam es auch.
„Wo waren Sie heute zwischen vier und fünf Uhr früh?“, fragte Mr. Bad mit einem täuschend müden Blick aus eisgrauen Augen mit Schlupflidern.
„Spazieren. Wieso fragen Sie denn bitte?“, entgegnete Ada scharf. Und sah zu Nelly. Sollte sie lieber die Aussage verweigern?
„Wieso haben Sie ihn denn ermordet?“
Ada erstarrte innerlich. Hatte sie ihn über den Jordan geschickt? So ein Weichei. Ein kleiner Schlag und schon … Ihr wurde etwas übel.
„Und Sie wissen sicher auch nicht, dass es sich bei dem Toten um den Assistenten der Geschäftsführung der Fondsgemeinschaft für alternative Investitionen, FAI, handelt! Einer international tätigen Gruppe, die besonders in Afrika aktiv ist. Afrika, das sagt Ihnen ja gar nichts!“ Die Stimme von
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