Berlin blutrot
Narbengesicht war süßlich, zynisch und gemein.
Ada zog nur die Brauen hoch.
„Ich habe keine Ahnung …“, weiter kam sie nicht.
„Wir können Sie auch gerne mit aufs Revier nehmen, wenn Ihnen das lieber ist!“, giftete er. „Sagen Sie uns doch nur, warum Sie ihn erschossen haben. Vielleicht war es ja Notwehr? Immer raus mit der Sprache und schon sind wir wieder weg.“ Hohn troff aus seinen herabgezogenen Mundwinkeln.
„Erschossen? Tut mir leid, das ist unmöglich!“, entfuhr es Ada.
„Erläutern Sie uns doch bitte Ihren letzten Auftrag? Wer war zuletzt hier?“ ermunterte sie Mr. Good.
Ada gab die Version zum Besten, die sie sicherheitshalber vorher mit Nelly ausgearbeitet hatte. Nur für alle Fälle, getreu dem alten Grundsatz: Bleibe bei Lügen immer so nahe an der Wahrheit wie es geht. Eine Unbekannte hatte sie um Schutz gebeten, der Auftrag war aber nicht zustande gekommen. Sie ist am Schlosspark während ihres frühmorgendlichen Spaziergangs überfallen worden und hat sich nur gewehrt. Pias Name, Köfferchen, Diamanten und Aufträge blieben selbstverständlich unerwähnt. Jetzt endlich schaltete sich Nelly ein und herrschte die beiden Bullen in ihrer schönsten Anwaltsmanier an. Normalerweise konnte sie mit ihrer Stimme heiße Quellen schockgefrieren. Da ließ sich der Hübsche zu einer Auskunft herab: „Ein älterer Herrmit Hund hat Frau Simon gesehen und sich die Autonummer notiert. Ein sehr aufmerksamer Mitbürger.“
Nelly leistete nun ganze Arbeit und haute ihnen Rechte und Gesetze um die Ohren, dass es nur so funkte.
„Wir erwarten Sie morgen Nachmittag um 15 Uhr im Revier, da können Sie dann Ihre Aussage machen.“
Ada atmete tief durch.
„Wir werden Sie im Auge behalten“, versprach Mr. Bad, als sie endlich gingen.
„Er ist erschossen worden. Jemand war nach dir dort. Jemand, dem der Kerl noch mehr auf die Nerven fiel als dir. Warte, ich werde seinen Namen und mehr über diese Gesellschaft erfahren und dann sehen wir weiter. Wozu hat der Mensch Kontakte?“ Nelly hing bereits am Telefon und winkte Ada noch lässig mit der Hand, die sich ihrerseits an Computerrecherchen machte. Wenig später klingelte ihr Handy. Die Stimme klang wie warmes Öl ins Ohr geträufelt. Wer’s mag … Ada machte sie aggressiv. Ob man sich am Lietzensee treffen könne? Wer? Es ginge um den Toten am Schlosspark. Bitte sehr! Was sollte schon geschehen, am helllichten Tag?
Der kleine Lietzensee lag blitzend in der Sonne, die Äste der Trauerweide hingen bis ins Wasser und ließen das Licht darunter märchenhaft grün leuchten. Ein paar Enten prügelten sich um die Brotkrumen, die eine alte krumme Frau ins Wasser warf und ein junger elternteilzeitaktiver Papi zeigte die „Gagagas“ so stolz seinem Sprössling, als hätte er sie persönlich hergestellt. Wie üblich waren die Wiesen und Wege voller kreativer Aktivisten.
Zwei Frauen stolzierten storchenhaft vorbei. Konzentriert rissen sie ein Knie hoch, streckten dann das Bein lang aus, um es in Zeitlupe wieder auf den Boden zu setzen. Auf der Wiese standen zwei ganz in orange gekleidete Typen auf dem Kopf und unterhielten sich leise. Eine Dame hielt einen Baumstamm liebevoll umschlungen und machte mit geschlossenen Augen
und seligem Lächeln Atemübungen.
Ada sah sich um. Wer kam in Frage? Es ging um den Toten. Assistent der Geschäftsführung einer international tätigen Finanzierungsgesellschaft. Um den Koffer mit Geld. Diamanten. Geschickt wich sie einem Pulk Damen in neonfarbener teflonbeschichteter multifunktioneller Laufkleidung aus, die im Marschschritt vorbeidonnerten und angriffslustig große Skistöcke schwenkten. Die Reflektoren an ihrer Kleidung leuchteten im Sonnenlicht.
Das musste er sein! Ein Mann kam auf Ada zu, elegant, weltgewandt, mit einem Lächeln, für das sich sein Zahnarzt eine hochseetaugliche Segelyacht gekauft hatte. Der Leinenanzug, das Hemd, die Manschettenknöpfe, die Krawatte, die Frisur. Zusammen sicher so teuer wie das Bruttoinlandsprodukt eines südostasiatischen Schwellenlandes. Zumindest eines kleinen. Die Haltung hatte etwas Anmaßendes.
„Hallo, Frau Simon?“ Er gab Pfötchen. Gewollt kräftig, befand Ada.
„Ja, schauen Sie“, begann er, während er neben Ada den Kiesweg am Ufer entlang trottete. Wer beginnt so einen Satz? „Wir wollen doch alle keinen Ärger, nicht wahr? Und da Sie nun sogar des Mordes verdächtig sind, sollten Sie doch alles tun, um zusätzlichen Ärger zu vermeiden, nicht wahr? Also
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