Berlin blutrot
Noch einmal und der schwere Wagen touchierte ihren Kleinwagen. Dann gab der Fahrer Gas und verschwand. Ada lenkte an die nächstbeste Haltemöglichkeit, stellte den Motor aus und atmete tief durch. Versuchte ihr Händezittern unter Kontrolle zu bringen. Sie hatte sich die Nummer gemerkt, seltsamerweise ein Diplomatenkennzeichen. Ich krieg dich schon! Verflucht, jetzt hatte Pia Freitag ihren Stift eingesteckt, der immer in der Ablage bereit lag! Der Werbekuli des Toten lag stattdessen noch da. Komisch, er war an einer Seite etwas breiter als normal. Wieso war ihr das nicht aufgefallen? Ada knipste, drehte – nichts funktionierte. Sie zog energisch an der Kappe. Endlich! Aber statt der Mine zeigte sich
der Stecker eines USB-Sticks.
Motor an, mit kreischender Kupplung wenden, auf dem Handy Nelly anwählen – das alles war eins. Gottseidank, Nelly war erreichbar. Ada sprang die Stufen zu ihrem gemeinsamen
Büro hoch. Das Auto auf dem Bürgersteig. Offen. Egal. Nelly war schon da. Öffnete. Ada verriegelte die Tür doppelt. Kette vorgelegt. Schreibtisch vor die Tür geschoben. Keuchen. Nelly lachte. Na hallo! Sie hatte nicht in die lebeneinsaugenden Löcher gesehen!
Schnell den Stick in den Computer. Passwort? Nein! Das war erstaunlich, würde wohl aber Gründe haben. Vielleicht wollte der Kerl ja, dass jemand anderes Zugang hatte. Wenn ihm zum Beispiel etwas zustößt. Möglich!
Jetzt scrollte Nelly die Datei hinunter.
Der Tote hatte genau Buch geführt. Er hatte die ganze Riege am Haken. Die Agro-Invest-Gruppe, AGI, Manager, Privatiers. Dr. Gerstner hieß der Geschäftsführer. AGI hatte in Osteuropa und später in Afrika Land gekauft. Fruchtbares Ackerland. Vor allem im Kongo und im Sudan. Flächen von der Größe eines kleineren Staates. Investiert hatte Gerstner bisher 100 Millionen Euro. Das war aber erst der Anfang. Viel mehr sollte folgen.
„Erde – und das in ihr enthaltene Wasser – sind etwas, das sich nicht vermehren lässt, dass aber immer mehr haben wollen. Also ist eine Wert- und Preissteigerung garantiert. Natürlich bleiben die Verträge streng geheim. Dr. Gerstners Namen werden wir in einigen Jahren auf der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt lesen. Wenn Dr. Gerstner & Co. organisiert haben, dass schwer bewaffnete Konvois mit Weizen, Reis oder anderen Lebensmitteln aus den ärmsten der armen Länder herausgebracht werden.“ Nelly fluchte halblaut vor sich hin.
„Tja, das sind Leute, die global denken und handeln. Und die Verantwortung liegt schließlich bei den einheimischen Regierungen“, ätzte Ada.
„Das ist Mord! Hunger ist der effektivste Massenmord“, konstatierte Nelly.
„Der Mann hatte also Pia Freitag, die als Kurier für gewaschenes Geld und ähnliches fungierte, den Koffer abnehmen wollen – um zu verschwinden, davon können wir ausgehen. Aber warum hatte er den Stick mit den Daten von der Konkurrenz dabei, Erpressermaterial? Vielleicht wollte er verhandeln, den Stick gegen den Koffer? Dann hab ich zu früh zugeschlagen …“
„Er hätte halt besser aufpassen müssen. Wer verhandeln will, muss freundlich sein – und nicht mit Baseballschlägern herumrennen. Unser Mann vom Lietzensee oder ein anderer im Auftrag der Agro-Invest-Gruppe hat ihn jedenfalls beseitigt, weil die wussten, dass er diese Informationen gesammelt hatte. Tja, endlich weiß ich, was die mit nachhaltig wirklich meinen ….“
Die beiden Typen, Mr. Bad und Mr. Good, nahmen den Stick in Gewahrsam. Ob sie auch die Verantwortlichen in Gewahrsam nehmen würden? Oder war nicht vielmehr wieder einmal alles ganz legal?
Zwei Wochen später lag eine bunte Ansichtskarte im Briefkasten. Der Zuckerhut, umspannt von einem herrlichen Regenbogen. Prima Wetter hier. Herzliche Grüße P. Mehr stand da nicht.
Wie hat sie das geschafft? Vermutlich werde ich es nie erfahren, dachte Ada.
Sie sprang in ihren Peugeot, überzeugte sich, dass ihre Badesachenhinten lagen und schlug den Weg in Richtung Schlachtensee ein. Heute trug sie ein dünnes Sommerkleid und Sandalen. Nachdem sie den dritten Gang eingelegt hatte, stach ihr schmerzhaft etwas in den Fuß. Sie fluchte leise vor sich hin. Schnell fuhr sie an den Straßenrand. Und zog einen kleinen spitzen Stein aus der Sohle. Im Sonnenlicht glänzte und glitzerte er. Ein Diamant, nicht so groß wie das Ritz, aber immerhin. Ada lächelte. Sie gab Gas, stellte den Jazzsender laut und freute sich über das bunte Völkergemisch an ihrem Stutti.
Durch das Fenster wehte
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