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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Berlin-Charlottenburg, http://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de

Der Himmel über Berlin
    Weil wir trotz der schweren Kulturkost beide noch nicht richtig müde sind, setzen wir uns erstmals abends gemeinsam auf ein Kaltgetränk in die Küche. Während die müdeste Gattin von allen im ersten Stock den einen oder anderen Baum zersägt, lassen wir den Klassikabend entspannt ausklingen. Karl ist bester Laune, er hat die Oper sehr genossen. Und er freut sich immer noch diebisch über seinen Coup.
    Okay, Ehre, wem Ehre gebührt. Der Gag ist ihm gelungen. Im Jogginganzug und mit Badehose unterm Arm hat mich tatsächlich noch nie jemand in eine Oper befördert. Um ehrlich zu sein, hat mich auch in konventionelleren Klamotten noch niemand zu den Knödel- und Koloratur-Junkies gebracht. Mein Musikgeschmack orientiert sich eher an der Street-Credibility des Künstlers, die mir heute Abend eher gering schien. Meine Frau weiß ein Lied davon zu rappen.
    »Und, gibt es schon Pläne für morgen?«, frage ich über den Küchentisch, um den Westentaschen-Woody-Allen gar nicht erst auf den Gedanken zu bringen, er könnte mir morgen doch noch sein angelesenes Comedyhandwerk vorführen.
    »Nö«, bekennt Karl einsilbig und nimmt noch einen langen Schluck. »Schlag zur Abwechslung du was vor.«
    Ich greife mir mein bei Ebay ersteigertes treues Smartphone und beginne eifrig zu tippen.
    »Was wird das?«, fragt der Alles-wissen-Woller.
    »Wetter. Stabile Hochdrucklage, wolkenlos«, lese ich ihm mein Kachelmann-App vor.
    »Also?«
    »Also schauen wir uns die City morgen von oben an.«
    Er stiert mich einen Moment ungläubig an.
    »Von oben? Willst du in die Luft?«
    »Treffer«, sage ich.
    »Ich nehme an, du hast keinen Pilotenschein.«
    »Treffer versenkt.«
    »Dann willst du also einen Rundflug buchen? Hast du eigentlich eine Idee, was das kostet?«
    »Ruhig Blut, Schwoab. Das, was ich vorhabe, ist günstiger und macht trotzdem großen Spaß. Also: Bist du bereit für einen kleinen Aufstieg?«
    »Äh ... wenn es bezahlbar ist – meinetwegen.« Richtig glücklich scheint ihn die Aussicht auf größere Geldausgaben nicht zu machen. Das ist der richtige Augenblick, ihn seine pekuniären Verlustängste in aller Ruhe allein auskosten zu lassen. Ich exe meine Schorle und sage ungewöhnlich gut gelaunt: »Gute Nacht«.

    Als ich ihn am nächsten Morgen beim Frühstück treffe, ist er allerdings schon wieder obenauf.
    »Murat, lass mich raten: Du willst zum Alexanderplatz?«
    Nervig ist der Mensch, aber doof nicht. Offenbar hat sein überdimensionierter Zinken den Braten schnell gerochen. Als ich nicht antworte, triumphiert er: »Du willst auf den Fernsehturm, stimmt’s?«
    Ich nicke stumm, schließlich war das ja wohl nur noch eine rhetorische Frage. Nicht einmal ein bisschen Vorfreude gönnt einem dieser Spielverderber. Höchste Zeit, den Tag mit Aggressionsabbau an den Eisen zu beginnen. Ich greife meine noch gepackte Sporttasche und eile zur Tür.
    »Ich muss los, Kollege. Wir treffen uns um halb zwölf an der Uhr«, schlage ich vor.
    »Welche Uhr?«, fragt Karl.
    »Guck einfach in deine schlauen Bücher«, erwidere ich leichtsinnig, nicht bedenkend, was dies wieder für Vorträge nach sich ziehen wird..
    »Ach, noch was, Karl: Pass auf dein Portemonnaie auf, das ist hier nicht Strümpfelbach; gerade der Alex ist ein ziemlich heißes Pflaster.«
    »Danke für den Tipp, Präventiv-Bulle.« Komisch, dass ausgerechnet die größten Besserwisser immer am allergischsten auf fremde Ratschläge reagieren! Dann soll er sich halt ausnehmen lassen wie ’ne Weihnachtsgans. Mir doch egal.

    Kurz nach halb zwölf stürze ich am Bahnhof Alexanderplatz aus der verspäteten S-Bahn. Wie immer herrscht hier Riesenhektik: Pendler wollen unbedingt noch den Regionalzug erwischen, während andere verzweifelt auszusteigen versuchen; genervte Schnorrer zerren ihre Hunde an langer Leine hinter sich her, über die dann hilflose alte Damen fast zu Tode stürzen. Zwei Waggons weiter verhaken sich gleich mehrere Fahrräder hoffnungslos in drei überdimensionierte Einkaufstaschen. Ein starker Geruch von Vorkriegsstimmung liegt in der Luft.
    Ich springe eilig die langen Treppen hoch und halte straight auf die Weltzeituhr zu. Karl ist nicht schwer zu identifizieren: Inmitten der bunten Gemeinde aus Punks, Freaks und sonstigen Müßiggängern ist er der Einzige, der statt Bierdose ein Buch in der Hand hält. Es ist zwanzig vor zwölf.
    »Hey, Karl, tut mir leid, die

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