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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Trainingsjacke, Sportschuhe. Und jetzt wo ich genauer hinschaue, fällt mir auf: Eine Sporttasche hat der Kerl auch nicht dabei ...
    »Wir schauen uns ›Die Flut‹ an.«
    »Die Flut! Aha«, sage ich und verstehe nur Bahnhof. Handelt es sich hier vielleicht um ein
    Wellenbad?
    »›Die Flut‹«, ergänzt Karl mit fachmännischem Habitus, »ist eine der ganz selten gespielten Opern von Boris Blacher. Und die wird hier heute aufgeführt.«
    Boris Blacher? Ich kenne nur Boris Becker. Oper? Im Schwimmbad, alles klar. Vergackeiern kann ick mir selber . Aber als wir in der Halle stehen und das Gewölbe samt seinen opulenten Verzierungen bestaunen, wundere ich mich fast schon nicht mehr, dass in dem erstaunlich großzügig geschnittenen Becken kein Wasser ist. In meinem Kopf beginnt sich ein Puzzlestück zum anderen zu fügen. Das konspirative Gelächter am Frühstückstisch. Karls schicke Garderobe. Das Gerede von Boris Blacher. Und das wasserlose Becken. Ich greife Karls Arm.
    »Also, du Scherzkeks, was wird hier gespielt?«
    »›Die Flut‹. Sagte ich doch schon.«
    »Haha. Ich flute vor Lachen gleich meine Hose. Los jetzt. Erzähl! Ich seh doch, dass du sonst gleich platzt.«
    »Also gut«, gibt der Geheimniskrämer klein bei. »Als ich heute Morgen in dem Berliner Architekturführer geblättert habe, ist mir aufgefallen, dass dieses Stadtbad hier wegen Rissen im Beckenboden und in den Deckengewölben bereits 1986 geschlossen wurde. Und dass man das Gebäude seit 2008 für Veranstaltungen nutzt. Da habe ich in der ›Zitty‹ nachgeguckt, ob aktuell was läuft. Und bingo! ›Die Flut‹! Als ich Ann-Marie davon erzählt habe, meinte sie, es wäre doch eine gute Idee, dich damit ein bisschen zu veralbern.«
    Na toll! Eine Verschwörung zwischen der heimtückischsten Ehefrau von allen und meinem ganz persönlichen Plagegeist. Was kann das Leben Schön’res bieten?
    »Gut, dann habt ihr jetzt euren Spaß gehabt und wir können wieder nach Hause.«
    »Nee, Murat, komm. Nun sind wir soooo weit gefahren. Und die Oper hat auch eine richtig gute Kritik bekommen.«
    Gutmütig, wie ich nun einmal bin, lasse ich mich von dem Drollige-Streiche-Planer tatsächlich überreden. Was ich umgehend bereue. Denn plötzlich füllt sich das Bad mit lauter höchst elegant gekleideten Pinguinen und den dazugehörigen Damen in schicker Abendgarderobe. Da komme ich mir in meinen Joggingklamotten vor wie ein FKK-Jünger bei einer Papst-Audienz. Aber zum Fliehen ist es zu spät, denn schon fluten die Opernsänger das als Bühne dienende Schwimmbecken. Also bleibe ich bis zum bitteren Ende und ignoriere tapfer die abschätzigen Blicke der anderen Besucher, die in mir wahrscheinlich einen aus Neukölln verirrten Obdachlosenzeitungsverkäufer vermuten.
    Auf dem Heimweg quält mich Karl dann noch ein wenig mit seinem Wissen über Ludwig Hoffmann, der offensichtlich halb Berlin erbaut hat. Als wir spät abends wieder das traute Heim betreten, beendet er seinen stundenlangen Monolog mit den Worten »Ludwig Hoffmann war übrigens trotz seiner zahlreichen hiesigen Bauten kein Berliner. Er stammte eigentlich aus Darmstadt, war also Hesse.« Na Gott sei Dank war er wenigstens kein Schwoab. So endet dieser anstrengende Abend für mich fast noch versöhnlich.

    Leben und Erbe des Ludwig Hoffmann
    Ludwig Hoffmann (geboren 1852 in Darmstadt, gestorben 1932 in Berlin) prägte als Stadtbaurat 28 Jahre lang das Gesicht Berlins. Unter seiner Aufsicht entstanden 111 Anlagen mit über 300 Einzelbauten. 1924 wurde Hoffmann Ehrenbürger der Stadt Berlin.
    Anfangs stießen die unter seiner Regie errichteten Bauten gelegentlich auf Unverständnis, gelten aber heute als sowohl unter künstlerischen wie auch sozialen Aspekten gelungene architektonische Antwort auf die Wohnraumknappheit in Berlin, die aus der Bevölkerungsexplosion Anfang des 20. Jahrhunderts resultierte.
    Unter Hoffmanns Leitung entstanden unter anderem das Baerwaldbad in Kreuzberg, das Rudolf-Virchow-Krankenhaus, das Märkische Museum, der Feuerwehrbrunnen auf dem Mariannenplatz, die Ausführung des Pergamonmuseums nach einem Entwurf von Alfred Messel, der Märchenbrunnen im Volkspark Friedrichshain und die Möckernbrücke. Wer sich gerne Originalentwürfe von Ludwig Hoffmann anschauen möchte, kann dies im Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin tun.

    Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin
    in der Universitätsbibliothek, Sekr. A 7, Straße des 17. Juni 150/152, 10623

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