Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
Vom Netzwerk:
gegangen.
    »Na ja: Karl konnte einfach nicht genug bekommen.«
    Ann-Marie mustert mich von der Seite. Ich habe das leise Gefühl, sie glaubt mir nicht.
    Höchste Zeit, in mein Zimmer zu verschwinden und ein bisschen Arbeit in mein neues Programm zu investieren.
    Zwei Stunden später weckt mich das Rauschen der Dusche. Da bin ich doch tatsächlich über meinem Laptop eingenickt. Schlimm, wenn einen die eigenen neuen Sketche so einschläfern. Wieder erscheint vor meinem geistigen Auge das Bild eines unbarmherzig aufgebrachten Premierenpublikums. Höchste Zeit, gegen diese Ängste einen kräftigen Kaffee in Stellung zu bringen. Ich klappe den Laptop zu und steige hinab in die Küche.
    Unten sitzt ein frisch geduschter Karl, nur in ein Handtuch gewickelt, am Tisch und hat den Kopf in die Hände vergraben. Offenbar ist der Herr schwer verkatert.
    »Na, Karl«, sage ich betont laut, um die dumpfen Schmerzen in seinem Kopf zum Schwingen zu bringen. Manchmal kann ich auch gemein sein. Als Antwort ernte ich nur ein unverständliches heiseres Krächzen. Gnädigerweise verzichte ich im Interesse seiner angegriffenen Stimmbänder auf eine Rückfrage. Stattdessen biete ich ihm großzügig einen Kaffee an.
    Er nickt dankbar. »Schwarz, bitte.«
    Ich stelle ihm unsere Gästetasse vor die Nase: einen hässlichen grauen Riesenbecher mit Berliner Stadtwappen drauf. Das Geschenk eines verflossenen Besuches. Was haben wir verbrochen, dass uns Gäste mit so viel Geschmacklosigkeit bestrafen wollen? Mangelnde Rücksicht auf die Wünsche unserer Gäste kann’s jedenfalls nicht sein, schließlich erinnere ich mich noch lebhaft daran, wie wir mit ebenjenem Besuch so ungefähr alle Souvenirshops in Berlin abgeklappert haben. Egal, Karl steht die Tasse gut.
    »Hat jemand eine Ahnung, wo mein Haarwachs geblieben ist?«, schallt es aus dem Bad.
    »Keine Ahnung, Schatz«, rufe ich zurück und werfe unserem Gast einen warnenden Blick zu. Der hat aber eh genug mit sich selbst zu tun.
    »Möchtest du was essen?«, frage ich den Leidenden heimtückisch.
    »Nein, bitte nicht!«, sagt Karl in einem Tonfall, als würde ich ihm eine besonders grausame Folter androhen.
    Er starrt auf die blöde Tasse.
    »Weißt du, was ich mich gerade frage?« Seine Stimme hört sich echt schlimm an.
    »Nein.«
    »Wie kommt das Tier da hinein?«
    »Welches Tier?« Oh Gott, haben irgendwelche skrupellosen Clubbesucher unserem naiven Provinzler gestern Abend harte Drogen in das Bier geschmuggelt?
    »Ich meine den Bären. Wie kommt der Bär in das Wappen?«
    Ach so. »Gute Frage«, lüge ich.
    Wen bitte interessiert so ein Quatsch?
    »Es gibt da verschiedene Erklärungsansätze«, fachsimpelt er mit seiner gruseligen Stimme los.
    Das darf doch wohl nicht wahr sein. Der Mann sitzt mir quasi nackt mehr tot als lebendig gegenüber und muss trotzdem schon wieder den Sonderschullehrer aus dem Handtuch hängen lassen.
    »Man vermutet zum Beispiel, dass der Bär auf Albrecht I., den ›Bären‹, Eroberer und Begründer der Mark Brandenburg, zurückzuführen ist.«
    »Na, dann ist doch alles klar. Klingt für mich logisch.«
    »Na ja, dann hätte er aber die für damalige Verhältnisse schon recht große Stadt wohl kaum ›Bärlin‹, also Bärlein, genannt. So viel Selbstironie hatten Politiker schon damals nicht.«
    »Vielleicht ist der Wappenbär ja ein Tanzbär. Quasi ein Indiz dafür, dass hier schon immer was los war, du weißt schon: wilde Sause rund um die Uhr ...«
    Karl wirft mir einen gemarterten Blick zu.
    »Wahnsinnig witzig, Murat.«
    Unter Aufbietung der letzten verbliebenen Kräfte hebt er die hässliche Tasse an den Mund und saugt etwas Kaffee in seinen Schlund.
    »Soll ich dir einen Strohhalm geben? Oder eine Schnabeltasse?«, simuliere ich Mitgefühl.
    »Die andere Theorie ist«, ignoriert er meinen spöttischen Einwurf«, dass es gar nicht um den Bären geht. Sondern um den Wortstamm ›berl‹, der aus dem Slawischen stammt und so viel heißt wie ›sumpfiges Gelände‹«.
    Wo sich dieser altkluge Besserwessi das wohl wieder alles angelesen hat?
    »Das mit dem Sumpf gibt dem Skandal um die Berliner Landesbank ja einen ganz neuen, historisch begründeten Kontext«, versuche ich mich als Kabarettist. »Ein Sumpf wäre im Wappen allerdings schwer darzustellen gewesen. Da war der Bär sicher die bessere Idee.«
    »Na ja, früher gab es auf dem Wappen neben dem Bären noch den Preußischen und den Brandenburger Adler. Die sind im Laufe der Zeit allerdings

Weitere Kostenlose Bücher