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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Stillsitzen verurteilt wird. Karl versucht sich von seinem unfreiwilligen Gastgeber zu erheben, fällt aber dank seiner unbeholfenen Ungelenkigkeit ein ums andere Mal wieder in die Ausgangslage zurück. Sein lebender Untersatz quittiert jeden Rückfall mit einem schmerzlichen Stöhnen. Nach dem x-ten vergeblichen Versuch gibt der Sitzplatz-Schnorrer auf und nestelt einhändig seine Brieftasche aus dem Jackett heraus, während er sich mit der anderen Hand an der über ihm hängenden Halteschlaufe absichert. Vor Karls geballter Masse hat der Hip-Hopper inzwischen ebenfalls kapituliert und hängt leblos unter dem Fleischberg.
    » Nu ma sachte mit die jungen Ferde! «, kommentiert der bislang alles in allem recht gutmütige Rotfuchs am Steuer. » Hat er denn och ’n jült’jen Faahosweis? «
    Mag sein, dass Karl seinen Slang nicht versteht. Oder er wegen seiner gestrigen Exzesse generell schwer von Kapee ist. Jedenfalls fühlt er sich nicht angesprochen. Das findet der Dicke nun nicht besonders amüsant.
    » Ob er een Faahosweis hat oda nischt! «, brüllt er mit erstaunlicher Vehemenz durch den Gelenkbus.
    Jetzt schreckt Karl doch hoch und lässt von seinen blamablen Versuchen ab, die Brieftasche zu öffnen. »Meinen Sie mich?«, stammelt er verlegen.
    » Wenn ick dir ankieke, wen meen ick denn wohl, Meesta? «
    »Haben Sie mich angeschaut?«
    Karls Verwunderung ist völlig berechtigt, denn zu unser aller Glück hat der Busdompteur bislang konzentriert auf den Verkehr geachtet und keinen von uns direkt angesehen. Trotzdem reagiert er auf die Frage enorm pikiert
    » Kann et sein, dit se dir mit’m Klammerbeutel jepudert haben? «
    »Tut mir leid, die Antwort ist nein.«
    Nun ist der BVG-Pilot doch so weit, sich mitten im Fahren umzudrehen.
    » Sach ma, du Flitzpiepe. Wat heeßt denn ditte: Nee? «
    »Heißt: Ich bin nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises.«
    » Dit jibs ja janich. Un nu? «
    »Wie und nu?«
    » Wo will er denn hin? « Der Teint des Fahrers hat sich inzwischen bedenklich seiner Haarfarbe angenähert.
    »Kommt drauf an, wo Sie hinfahren!«
    Das war eine dumme Antwort zu viel. Mit quietschenden Reifen kommt der Bus so abrupt zum Stehen, dass Karl vom Schoß seines unfreiwilligen Gastgebers auf den Boden purzelt. Breitbeinig baut sich der BVG-Schranze vor ihm auf und lässt mal richtig Dampf ab.
    » Sach ma, Männeken, ick lass ma hier keen Bonbon an’t Hemd kleben. Willst du mir verscheißern, oder wat? Pass bloß uff, et klatscht jleich. Aber keenen Beifall. «
    Karl ist nun völlig überfordert. Immerhin hat er inzwischen den Griff ins Portemonnaie geschafft, hält seinem Widersacher in der Hektik aber nun ausgerechnet einen 50-Euro-Schein hin.
    » ’N Fuffzier, na supa. Hat er’s nich vielleicht ’ne Numma jrößer? Junge, wenn ick’ n Fuffzier wechseln könnte, wär ick Privatier uffde Bahamas und nich bei de BVje. Mannomann, du bis ja vielleicht ’ne Witzfijur. Ick lach ma ’n Ast und setz ma druff. «
    Karl sieht nach dieser geballten Berliner Standpauke so aus, als würden ihm gleich die Tränen der Verzweiflung in die Augen schießen. Also erbarme ich mich schnell und löse ihn mit einem Fünf-Euro-Schein aus. Der Fahrer grummelt zwar noch in sich hinein, löst aber die Fahrkarte und bequemt sich zur hörbaren Erleichterung der anderen Passagiere, die unterbrochene Fahrt fortzusetzen. Ich helfe Karl auf die Beine und schiebe ihn von den inzwischen recht feindseligen Blicken der Umstehenden weg in den hinteren Teil des Busses.
    Kaum stehen wir auf neutralem Gebiet, ist seine Unsicherheit wie weggeblasen. »Das war doch eine sehr interessante Begegnung.« Er wirkt geradezu erfreut.
    »Spinnst du oder was? Ich hab selten so etwas Peinliches erlebt.« Der Kerl hat sie doch nicht mehr alle. Inzwischen grinst er gar schon wieder selbstzufrieden über alle vier Backen.
    »Ach was, das war doch mal reinstes Berlinerisch. Das findet man in der Form ja kaum noch. All diese typischen Redewendungen. Die reinste Fundgrube. Nach so was habe ich die ganze Zeit in meinen Reiseführern gesucht.«
    »Du hättest in deinen Schlaumeier-Bibeln lieber mal nachlesen sollen, dass man Berlin Busse vorne besteigt. Dann wäre uns diese ganze Kasperade erspart geblieben.«
    Zum Glück sind wir jetzt am Hermannplatz. Ich zerre Karl aus dem Bus der Schande und laufe Richtung Karstadt, um meiner Frau ihr Haarwachs zu ersetzen.
    Karl trabt zwei Schritte hinter mir her und fingert im Laufen eine Stulle aus dem

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