Berlin - ein Heimatbuch
führte dass die hier angesiedelte Gastronomie notorisch ausgebucht war. Inzwischen sind im Stadtdschungel neue Trampelpfade entstanden und Gegenden wie der Prenzlauer Berg, der Hackesche Markt, die Oranienburger Straße oder die Kreuzberger Bergmannstraße ziehen längst deutlich mehr Touristen an als das Nikolaiviertel.
Was nichts daran ändert, dass hier einst der berühmte Berliner Milljöh -Zeichner Heinrich Zille als Lithograf arbeitete und wirkte; in diesen Straßen streifte er durch die Kneipen und bannte das einfache Berliner Volk aufs Papier. Weswegen es in der Probststraße 11 ein Zille Museum gibt und in der Poststraße eine Sandsteinskulptur, die an das Berliner Original erinnert.
Aber das Nikolaiviertel ist erst der Anfang unserer Gewalttour durch das »eigentliche« Berlin. Wenn der Sofasurfer schon solch dämliche Fantasien von richtig und falsch hat, dann soll er dafür auch büßen. Die Sonne ist meine Komplizin und brennt unbarmherzig vom stahlblauen Himmel. Aber ich bin fit und durchtrainiert. Und der Schwoab nicht. Das wird er bald merken.
Berlin ist übrigens buchstäblich auf Sand gebaut.
Ich stelle mir vor, wie es gewesen sein muss, als die Straßen noch nicht geteert oder gepflastert waren und die Menschen in Staub und Sand gehüllt wurden, wenn eine eilige Kutsche vorbeidonnerte. Heute hüllen einen die vorüberjagenden Pferdestärken eher in Abgaswolken.
Unter den Linden sollte derzeit übrigens besser »Unter Bauarbeitern« heißen.
Die prächtige Berliner Staatsoper, mit der katholischen Hedwigs-Kathedrale im Hintergrund, ist momentan eine Großbaustelle. Der asbestverseuchte Palast der Republik, die frühere Volkskammer der DDR, im Volksmund gerne »Ballast der Republik« oder in Anspielung auf Erich Honecker und die zahllosen Leuchten der Foyerdeckenbeleuchtung »Erichs Lampenladen« genannt, wurde dagegen bereits dem Erdboden gleichgemacht. Auf dieser Brache soll demnächst irgendwann das alte Stadtschloss wieder neu entstehen. Ich glaube nicht, dass Berlin unbedingt ein weiteres Schloss braucht. Der allem Vergangenen und Untergegangenen zugewandte Karl sieht das natürlich anders.
»Ein Schloss ist für die Ewigkeit, Murat!«, ruft er mit Tränen des Pathos in den Augen.
Wie gerne hätte ich ein Schloss, um dieses Mundwerk zu verschließen.
Aber man kann nicht alles haben, und so hetze ich ihn weiter zum Gendarmenmarkt. Normalerweise wäre ich vorher kurz in der wunderbaren Tadshikischen Teestube eingekehrt, aber eine Strafexpedition ist nun einmal kein Vergnügungsausflug Am Gendarmenmarkt versuche ich Karl zu beweisen, dass Berlin nun wirklich schon genug Prachtbauten hat. Das wunderbare Konzerthaus wird flankiert vom Deutschen und vom Französischen Dom, die ich offen gestanden nie auseinanderhalten kann, die man ihrerseits aber auf keinen Fall mit dem Berliner Dom durcheinanderwerfen sollte, der sich wiederum Unter den Linden befindet.
Der Gendarmenmarkt ist ohne jeden Zweifel der prächtigste Platz Berlins. Sofern man diesen Titel nicht dem direkt am Brandenburger Tor gelegenen Pariser Platz verleihen will, wo ich Karl als Nächstes hintreibe. Das Brandenburger Tor bildet zusammen mit der Reichstagskuppel das Symbol für das wiedervereinigte Deutschland. Zu Recht, denn beide Bauwerke standen ja direkt an der Mauer. Der Reichstag im Westen, das Brandenburger Tor im Osten.
Karl steht schwer fasziniert und, wie mir scheint, auch schon recht ruhebedürftig unter dem mittleren Bogen des Brandenburger Tores und starrt hinauf.
»Schau mal, Murat, wie unglaublich hoch das ist.«
Bevor er zu pseudophilosophischen Exkursen ausholen kann, führe ich ihn aus leicht zu durchschauenden Gründen in den Raum der Stille, der sich rechts am Brandenburger Tor befindet. Hier soll man innere Einkehr halten.
Karl lauscht.
»Es ist hier aber gar nicht still, Murat.«
»Nee, natürlich nicht – weil du redest.«
Ich bin mit meinem Türkisch am Ende. Allah, hab ein Einsehen und schicke Karl in die Wüste.
Aber Allah hat kein Einsehen. Stattdessen höre ich den Pathetiker murmeln: »Das ist alles für die Ewigkeit hier. Murat, echt – das ist alles für die Ewigkeit.«
Was für ein Quatsch. Ich erkläre Karl, dass das Brandenburger Tor vor nicht allzu langer Zeit für den durchfahrenden Verkehr geschlossen werden musste, weil die dauernden Erschütterungen dazu führten, dass es instabil geworden war.
»Karl-Holger, ein einfacher BVG-Bus kann dieses Tor zum Schwanken bringen. Denk
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