Berlin Fidschitown (German Edition)
eine Drohung?“ Wong betrachtete den überlangen Nagel am kleinen Finger seiner linken Hand, als sei er das Zentrum des Universums.
„Die Ankündigung eines empfindlichen Übels“, zitierte sie das Strafgesetzbuch.
Das überforderte Wong. Er gab seine stoische Haltung auf und wurde giftig. „Frier dir den Arsch ab, Lady!“, verabschiedete er sich und betätigte den Fensterheber.
Noch bevor die Scheibe ganz schloss, zeigte Romy Asbach den Chinesen den Finger. Dann stapfte sie zu ihrem Opel. Jeder weitere Schritt in der frostkalten Nacht machte sie etwas nüchterner.
Hatte sie sich da eben zum Affen gemacht?
Sie lachte laut.
Nein! Sie hatte sich nur Luft verschafft. Manchmal war Bier eben doch die bessere Medizin als Dr. Edward Bachs Rettungstropfen.
12
Die Spitze des Mittelturms ragte rund hundert Meter über dem Flussufer in den blassblauen Himmel, und Millionen von Scherben aus Porzellan, Keramik und Glas, die ihn verzierten, glitzerten in der Sonne.
Farang blieb am Fuß einer der vier Treppen stehen, über deren Stufen man den Turm besteigen konnte, der für den Berg Meru stand, das irdische Abbild der dreiunddreißig Himmel. Der höchste Himmel wurde von einem Ring von Dämonen bewacht. Irgendwo da oben, auf einer der schmalen Terrassen, wartete der Mann, mit dem er verabredet war. Für einen Moment genoss er die andächtige Stille im Wat Arun. Der Tempel der Morgendämmerung trotzte der Hektik der Außenwelt. Vier kleine Türme, in deren Nischen Reiterfiguren des Phra Pai standen, begrenzten die Anlage. Der Windgott persönlich sorgte für Ruhe. Und so wehte mit der Brise vom Fluss nur ein Hauch von Verkehrslärm auf das Gelände. Den Innenhof bewachten mächtige Yaksa-Dämonen. Als Kind hatte er oft genug das Lied über den Kampf zwischen den Dämonen des Wat Arun und des Wat Po gesungen. Er warf einen letzten Blick in den Pavillon am Fuß der Treppe, in dem ein Abbild Buddhas von Naga, der siebenköpfigen Schlange, bewacht wurde. Dann begann er den Aufstieg.
Es waren nur wenige Touristen auf den steilen Stufen unterwegs – und noch weniger Gläubige. Die Scherbenhaut mit ihrem Blumenmuster bestand zum Großteil aus wertvollem chinesischen Porzellan, und Farang stellte sich vor, wie zu Zeiten des damaligen Herrschers gehorsame Untertanen auf Anordnung des Königs ihr zerbrochenes Geschirr ablieferten, weil den Bauherren das Dekorationsmaterial ausgegangen war. Ohne Zweifel hatten einige besonders Gläubige ihre Schätze absichtlich zerdeppert, um sich Meriten zu erwerben. Ein paar Australier kraxelten die Stufen hinunter. Sie hielten sich am Geländer fest und scheuten den Blick in die Tiefe, um ihre Schwindelgefühle zu bekämpfen. Der Abstieg war die Strafe für einen herrlichen Ausblick. Farang nickte ihnen zu und strebte weiter nach oben.
Der Mann in der safrangelben Robe hatte zum Schutz gegen die Sonne einen schwarzen Regenschirm aufgespannt. Er wartete am oberen Treppenende und betrachtete die Rüssel des dreiköpfigen Elefanten, der den Gott Indra trug. Als er das Keuchen vernahm, drehte er sich um.
Farang kam sich vor wie ein Höfling, der auf dem Bauch die letzten Meter zum Thron kroch. Die Treppe war kurz vor dem Ziel extrem steil, und der Mann mit dem Schirm stand direkt über ihm. Es gab keine Hoffnung auf eine helfende Hand. Man durfte den Mönch nicht berühren.
„Guten Tag, und Danke für’s Kommen.“
War da ein leichter Berliner Akzent zu hören? Es war eine Weile her, seit Farang mit jemandem Deutsch gesprochen hatte. „Guten Tag“, erwiderte er höflich, als er endlich auf der Aussichtsterrasse stand, tief durchatmete und sich gegen die Brüstung lehnte. Die Luft hier oben war frei vom Modergeruch des Flusses. „Ein ausgefallener Treffpunkt, den Sie sich ausgesucht haben.“
Der Mönch lachte und sagte: „Hier oben hat man einen guten Überblick und sieht die Dinge rechtzeitig auf sich zukommen.“
Farang schenkte der grandiosen Aussicht über die Stadt keine Beachtung.
Weder die trägen Windungen des Chao Phraya, noch die orangen Flecken aus glasierten Dachziegeln, die nicht wenige Tempeloasen im Betonchaos beiderseits des Flusses markierten, fanden seine Aufmerksamkeit. Nur den Höhenwind, der etwas Kühlung brachte, registrierte er mit Dankbarkeit. Der Mönch hielt seinen Schirm offenbar mit Bedacht schräg, und so spendete er auch ihm etwas Schatten.
„Ich bin Thomas Kramer“, stellte sich der Mann vor. „Und ich freue mich, dich zu sehen. Es liegt mir
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